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Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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ganzen Leben noch nicht geblutet.« »Bei Mädchen«, sagte Jessica, »nicht bei Jungen.« »Ich finde trotzdem, du solltest zum Arzt gehen«, beharrte Lockhart. »Aber das geht doch schon eine ganze Weile so.« »Um so mehr Veranlassung, einen Arzt aufzusuchen. Wir haben es hier offenbar mit einem chronischen Leiden zu tun.«
»Wenn du darauf bestehst«, sagte Jessica. Lockhart bestand darauf. Und so suchte Jessica eines Morgens, als Lockhart verschwunden war, um im Büro seine einsame Wacht zu halten, einen Arzt auf.
»Mein Mann macht sich solche Sorgen wegen meiner Blutungen«, erklärte sie. »Ich sagte, er solle nicht albern sein, aber er ließ nicht locker.«
»Ihr Mann?« sagte der Doktor fünf Minuten später, als er entdeckt hatte, daß Mrs. Flawse noch Jungfrau war. »Sie sagten doch: ‹Mein Mann¤?«
»Ja«, bestätigte Jessica stolz, »er heißt Lockhart. Ein schöner Name, finden Sie nicht auch?«
Dr. Mannet stellte im Stillen Betrachtungen über den Namen, Jessicas augenfällige Attraktivität und die Möglichkeit an, daß Mr. Flawse bei dieser verlockenden Gattin einen rechten Schlappschwanz haben mußte, um angesichts solch einer wunderschönen Frau nicht sexuell Amok zu laufen. Nachdem er diesen Gedankengang abgeschlossen hatte, umgab er sich mit der Aura eines Eheberaters und stützte sich auf den Schreibtisch, um seine eigene physische Reaktion zu verbergen.
»Verraten Sie mir eins, Mrs. Flawse«, sagte er mit einer Dringlichkeit, die darauf zurückzuführen war, daß er erwartete, jeden Moment einen spontanen Samenerguß zu bekommen, »hat Ihr Mann noch nie ...« Er brach ab und zitterte wie Espenlaub. Dr. Mannet hatte. »Ich meine«, setzte er erneut an, als die Zuckungen verebbt waren, »tja ...lassen Sie es mich so formulieren, haben Sie sich geweigert, sich von ihm ... ähem ... berühren zu lassen?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Jessica, die des Doktors Qualen einigermaßen beunruhigt hatten, »wir küssen und kuscheln andauernd.«
»Küssen und kuscheln«, wimmerte Dr. Mannet. »Bloß küssen und ... nun ja ... kuscheln? Mehr nicht?«
»Mehr?« wiederholte Jessica. »Was denn noch?«
Dr. Mannet blickte verzweifelt in ihr Engelsgesicht. In seiner langen Laufbahn als praktischer Arzt hatte er noch nie einer so schönen Frau gegenübergesessen, die nicht wußte, daß zu einer Ehe mehr gehörte als küssen und kuscheln.
»Sonst machen Sie nichts im Bett?«
»Natürlich schlafen wir auch«, sagte Jessica.
»Guter Gott«, murmelte der Arzt, »Sie schlafen auch! Davon
abgesehen tun Sie überhaupt nichts?«
»Lockhart schnarcht«, sagte Jessica nach reiflicher Überlegung, »aber sonst fällt mir eigentlich nichts ein.«
Auf der anderen Seite des Schreibtisches fiel Dr. Mannet sehr wohl etwas ein, und er gab sich alle Mühe, nicht daran zu denken.
»Hat Ihnen denn nie jemand erklärt, wo die kleinen Kinder herkommen?« sagte er, in die Kindersprache verfallend, was an Mrs. Flawses liegen mußte.
»Störche«, antwortete Jessica knapp.
»Stöcke?« wiederholte der Doktor, dessen eigener Stock sich wieder rührte.
»Oder Reiher, ich weiß nicht mehr genau. Die bringen sie in ihren Schnäbeln.«
»Schnäbel?« gurgelte der Doktor, inzwischen endgültig wieder im Kindergarten gelandet.
»In kleinen Wiegen aus Stoff«, fuhr Jessica fort, ohne zu merken, was sie da anrichtete. »Sie haben kleine Stoffschlingen im Schnabel, und da liegen die Kinderchen drin. Sie haben doch bestimmt schon Bilder davon gesehen. Und ihre Muttis freuen sich gaaanz doll. Stimmt etwas nicht?«
Aber Dr. Mannet hatte den Kopf in beide Hände gestützt und glotzte auf seinen Rezeptblock. Ihm war wieder einer abgegangen.
»Mrs. Flawse, liebe Mrs. Flawse«, winselte er, als die Krise vorüber war, »wenn Sie bitte Ihre Telefonnummer dalassen würden ... Oder noch besser, hätten Sie was dagegen, wenn ich mich mit Ihrem Mann, Lockschlapp ...«
»Hart«, sagte Jessica, »Lockhart. Soll er zu Ihnen in die Sprechstunde kommen?«
Dr. Mannet nickte schwach. Bis dahin war er immer gegen Freizügigkeit gewesen, doch in diesem Augenblick mußte er zugeben, daß auch einiges dafür sprach.
»Richten Sie ihm bitte aus, er möge mich aufsuchen, ja? Verzeihen Sie, wenn ich nicht aufstehe. Sie finden selbst hinaus.«
Jessica verließ den Raum und vereinbarte einen Termin für Lockhart. Im Sprechzimmer beschäftige sich Dr. Mannet fieberhaft mit seiner Hose und zog sich einen weißen Laborkittel über, um den von Jessica angerichteten Schaden

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