Familienbande
Jessica in Nummer 12 ging. Hinter ihm ging der Haussegen in den Nummern 5 und 2 zu Bruch. Daß seine Frau alles andere als schwer krank war, sondern vielmehr hingebungsvoll mit einem Nachbarn kopulierte, den er ohnehin nie so richtig hatte leiden können, und daß man ihn verängstigt aus Amsterdam hatte herkommen lassen, um ihm diese unangenehme Überraschung unter die nichtsahnende Nase zu reiben, war zuviel für Mr. Grabbles Temperament. Sein Gebrüll und Mrs. Grabbles Schreie, als er zunächst seinen Regenschirm und dann, nachdem dieser zerbrochen war, eine Nachttischlampe benutzte, um seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, konnte man in der ganzen Straße hören. Besonders gut nebenan, wo die Misses Musgrove gerade den Pfarrer und seine Frau zu Besuch hatten. Auch Mrs. Simplon konnte sie hören. Daß ihr Mann, der gerade in die Garage gefahren war, in Mr. Grabbles Tiraden eine so herausragende Rolle spielte, brachte sie dazu, Nachforschungen anzustellen, wie er wohl an zwei Orten gleichzeitig sein konnte. Mr. Grabbles Kommentar hielt auch eine dritte Person in Trab, nämlich Mrs. Grabble. Mrs. Simplon tauchte in dem Moment in der Haustür auf, als der Pfarrer, ebensosehr von der Neugier der Misses Musgrove wie von dem Bedürfnis getrieben, sich in ein häusliches Drama einzumischen, aus Nummer 4 trat. Sein Zusammenstoß mit dem nackten Mr. Simplon, der sich ein Herz gefaßt hatte und in sein eigenes Haus zurückhastete, diente wenigstens der genauen Aufklärung dessen, was Mrs. Simplons Gatte im Haus der Grabbles getrieben hatte, und mit wem. Nicht daß man ihr viel erzählen mußte. Mr. Grabble hatte sich überdeutlich zu dem Thema ausgelassen. Reverend Truster war weniger gut informiert. Er war Mr. Grabble persönlich nie begegnet und nahm natürlich an, der auf dem Boden zu seinen Füßen kauernde Nackte sei ein reuiger Sünder und Ehefrauenverprügler.
»Guter Mann«, sagte der Pfarrer, »so führt man kein Eheleben.«
Das war Mr. Simplon voll und ganz bewußt. Sein Skrotum umklammernd, starrte er verzweifelt zu Reverend Truster hoch. Auf der anderen Straßenseite ging seine Frau ins Haus zurück und warf die Tür ins Schloß.
»Auch wenn Ihre Frau all das getan haben mag, was Sie ihr vorwerfen, gehört es sich nicht, sie zu schlagen.«
Mr. Simplon war ganz seiner Meinung, brauchte aber nicht mehr zu erklären, daß er Mrs. Simplon nie auch nur ein Haar gekrümmt habe, weil mit lautem Krachen ein Terrassenfenster zersplitterte, durch das eine große und sehr schwere Waterford-Glasvase geflogen kam. In ihrer Todesangst wehrte sich Mrs. Grabble mit einigem Erfolg. Mr. Simplon nutzte die Gelegenheit, rappelte sich auf, überquerte die Straße und eilte zum Haus Nummer 5, vorbei an den Ogilvies, den Misses Musgrove und den Pettigrews, die ihm zwar alle nicht näher bekannt waren, ihn aber von nun an nicht nur am Schnitt seines Mantels identifizieren konnten. Als er unter dem pseudogeorgianischen Portikus vor seiner Haustür stand und mit einer Hand den Türklopfer in Form eines Amorkopfes betätigte, während er gleichzeitig mit dem Ellbogen auf den Klingelknopf drückte, wußte Mr. Simplon, daß es mit seinem Ruf als Ingenieurberater nun nicht mehr weit her war. Das gleiche galt für Mrs. Simplons Toleranz. Die ständige Abwesenheit und die lahmen Ausreden ihres Mannes samt ihrer eigenen sexuellen Frustration hatten sie zu einer verbitterten Frau gemacht. Sie hatte sich zwar vorgenommen, von ihrer Ehe zu retten, was zu retten war, doch als sie ihren Mann nackt vor einem Geistlichen kauern sah, wollte sie dieser Ehe nur noch den Garaus machen. Und zwar keineswegs heimlich, still und leise.
»Du kannst so lange da draußen bleiben, bis die Hölle zufriert«, schrie sie durch den nächsten Briefschlitz, »aber wenn du glaubst, ich lasse dich je wieder in mein Haus, bist du schief gewickelt.«
Mr. Simplons Lage war auch so schon verwickelt genug, doch am allerwenigsten hatte ihm ihre Verwendung des Possessivpronomens gefallen. »Was meinst du mit ‹mein Haus¤?« brüllte er, kurzfristig seine anderen verlorenen Besitztümer vergessend. »Ich hab genausoviel Recht ...«
»Das war einmal«, kreischte Mrs. Simplon und sprühte, um ihrer Feststellung noch etwas Pfeffer zu verleihen, den Inhalt einer Dose Enteisungsflüssigkeit, die Mr. Simplon zu ganz anderen Zwecken im Flur aufbewahrte, durch den Briefschlitz auf jene eingeschrumpelten Organe, die Mrs. Grabble noch vor kurzem so attraktiv gefunden hatte. Die dieser
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