Familienbande
bemerkenswerten Initiative folgenden Schreie waren Musik in ihren Ohren. Musik waren sie auch für Lockhart, der etwas Ähnliches zum letztenmal bei einer Schweineschlachtung gehört hatte, bei der man ohne ein modernes Bolzenschußgerät ausgekommen war. Er saß mit Jessica in der Küche über seiner Ovomaltine und lächelte.
»Ich frage mich, was da vorgehen mag«, sagte Jessica besorgt. »Es klingt, als stürbe jemand. Solltest du nicht mal nachsehen? Vielleicht könntest du etwas unternehmen.«
Lockhart schüttelte den Kopf. »Stabile Zäune erhalten die gute Nachbarschaft«, sagte er, eine Maxime, die am anderen Ende der Siedlung heftig umstritten war. Dort hatte sich die Sirene eines Streifenwagens unter Mr. Simplons Geschrei, Mr. Grabbles Anschuldigungen und Mrs. Grabbles unsinniges Leugnen gemischt. Die Pettigrews, von denen die Polizei bereits wegen Little Willies Verschwinden alarmiert worden war, hatten wieder angerufen. Diesmal nahm die Polizei ihre Beschwerde ernster und hatte, mit feinem Blick für alles auch nur andeutungsweise Homosexuelle, sowohl Reverend. Truster als auch Mr. Simplon festgenommen, ersteren wegen Aufforderung zur Unzucht und letzteren wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses durch unsittliches Entblößen, ein Vorwurf, für dessen Entkräftung Mr. Simplon, der bei ihrem Eintreffen seinen stark geröteten Penis ziemlich hektisch mit Hilfe des Rasensprengers bearbeitet hatte, die Worte fehlten. So blieb es Reverend Truster überlassen, so gut es ging zu erklären, daß er Mr. Simplon keineswegs zu sexuellen Handlungen habe überreden wollen, soweit diese überhaupt noch möglich gewesen wären, sondern lediglich bemüht gewesen sei, dessen Selbstkastration mit dem rotierenden Sprenkler zu verhindern. Dem diensthabenden Sergeant klang das keineswegs nach einer plausiblen Erklärung, und daß sich Mr. Simplon außerstande sah, einigermaßen präzise zu beschreiben, womit seine Geschlechtsteile in Berührung gekommen waren, um ihn zu diesem eigenartigen Verhalten zu bewegen, sprach auch nicht gerade für ihn.
»Steckt die Typen in getrennte Zellen«, sagte der diensthabende Sergeant, und man zerrte Reverend Truster und Mr. Simplon fort.
Nach ihrem Abtransport ging in Sandicott Crescent wieder alles seinen ununterbrochenen gewohnten Gang. Mrs. Simplon ging ohne Bedauern allein zu Bett. Mr. und Mrs.
Grabble legten sich getrennt schlafen, wobei sie sich gegenseitig Beleidigungen an den Kopf warfen. Die Misses Musgrove gaben sich alle erdenkliche Mühe, Mrs. Truster zu trösten, die immer wieder hysterisch erklärte, ihr Gatte sei kein warmer Bruder.
»Natürlich nicht, meine Liebe«, sagten sie einstimmig und ohne die leiseste Ahnung zu haben, was Mrs. Truster damit meinte. »Als die Polizisten ihn mitnahmen, war ihm bestimmt nicht warm ums Herz, dabei wissen wir, daß er ein großer Freund der Polizei ist.«
Mrs. Trusters Erklärungsversuch, schwul sei er auch nicht, brachte die beiden kein Stückchen weiter. Doch die abendlichen Ereignisse zeitigten auch weniger unschuldige Reaktionen. Die Prügelgeräusche hatten Mr. und
Mrs. Raceme animiert, und da sie diesmal vergaßen, ihre Vorhänge zuzuziehen, konnte Lockhart ihre perversen Praktiken hervorragend beobachten. Interessiert hatte er zugesehen, wie zuerst Mr. Raceme seine Frau ans Bett fesselte und sie mit einem Stock leicht züchtigte, ehe er ihr gestattete, diese Prozedur an ihm zu wiederholen. Lockhart ging nach Hause, hielt die neuen Erkenntnisse in seinem Dossier fest und begab sich schließlich zur Abrundung des Abends in die Garage, um den Wilsons mit baldigem Tod zu drohen, was zur Folge hatte, daß nebenan die ganze Nacht über Licht brannte. Alles in allem, dachte er, als er sich neben seinen strahlenden Engel Jessica ins Bett legte, war es ein überaus lohnender und informativer Tag gewesen, und wenn er den Schwung seines Feldzugs weiterhin beibehalten konnte, würden im Sandicott Crescent bald die ersten »Zu verkaufen«-Schilder auftauchen. Er kuschelte sich an Jessica, und gleich darauf gaben sie sich dem für ihre Ehe charakteristischen keuschen Liebesspiel hin.
Kapitel 11
Jessica blieb es vorbehalten, eine neue Entwicklung in die Wege zu leiten, als sie am nächsten Tag von ihrer Arbeit als Aushilfsschreibkraft nach Hause kam.
»Du wirst nie erraten, wer in Green End wohnt«, sagte sie aufgeregt.
»So ist es«, bestätigte Lockhart, der so tat, als nähme er die Bemerkung scheinbar wörtlich, um seine
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