Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Familienbande

Familienbande

Titel: Familienbande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
Vom Netzwerk:
an seiner Sippe. Immer noch spukte das große Fragezeichen durch seine Nächte: Wer war Lockharts Vater? Und dahinter verbarg sich die furchtbare Ahnung, daß Lockhart ebenso sein Sohn wie sein Enkel war. Mit diesem Hintergedanken nahm er die Peitschen-Klausel in sein Testament auf, da er sich teilweise eingestand, daß er es verdiente, bis auf einen Zoll an sein Leben oder besser noch: bis in den Tod gepeitscht zu werden, falls seine Vermutung zutraf. Die Frage mußte beantwortet werden, wenn schon nicht zu seinen Lebzeiten, dann zu denen Lockharts, und während er alte Urkunden und Dokumente durchforstete, zog Mr. Flawse weiter mögliche Kandidaten in Betracht. Sie alle hatten eins gemeinsam: Zur Zeit von Lockharts Zeugung, die Mr. Flawse auf acht Monate vor dessen Geburt ansetzte, hatten sie in Reitentfernung des Herrenhauses gewohnt und waren zwischen sechzehn und sechzig Jahre alt gewesen. Er weigerte sich zu glauben, daß seine Tochter, welchen Lastern sie auch immer gefrönt haben mochte, es freiwillig mit einem alten Mann getrieben hätte. Viel wahrscheinlicher war Lockharts Vater zwischen zwanzig und dreißig gewesen. Neben jedem Namen hielt Mr. Flawse das Alter des Kandidaten, seine Augenœ und Haarfarbe, seinen Körperbau, die Größe und, wenn möglich, seinen Schädelindex fest. Da der Verdächtige für letzteren seinen Kopf von Mr. Flawse mit einem unnötig spitzen Greifzirkel der Länge und Breite nach abmessen lassen mußte, waren manche nicht dazu bereit, und diese erhielten hinter ihren Namen den Vermerk »SV«, was für sehr verdächtig stand. Im Laufe der Jahre hatte der Alte eine ungeheure Menge anthropologisch interessanter Informationen zusammengetragen, die jedoch alle nicht zu Lockharts Aussehen passen wollten. Dieses war bis in die kleinste Einzelheit Flawsisch, angefangen bei der römischen Nase über die eisblauen Augen bis hin zu dem flachsblonden Haar, was die Schuldgefühle des alten Mannes sowie seine Entschlossenheit noch verstärkten, sich von der Schuld zu befreien, auch auf die Gefahr hin, es nicht zu schaffen und als Inzest Flawse in die Familiengeschichte einzugehen. So gründlich vertiefte er sich in seine Studien, daß ihm die Veränderung nicht auffiel, die mit seiner Frau vorgegangen war.
Mrs. Flawse hatte zur Beschleunigung seines von ihr geplanten Ablebens beschlossen, die Rolle der pflichtbewußten Ehefrau zu spielen. Statt sich seiner Avancen zu erwehren, ermunterte sie ihn sogar noch dazu, sein Herz durch Beischlaf zu strapazieren. Mr. Flawses Prostata stellte das Gleichgewicht wieder her und verhinderte, daß er sich den zahlreichen Gelegenheiten gewachsen zeigte. Mrs. Flawse machte es sich zur Angewohnheit, ihm den Frühstückstee ans Bett zu bringen, nachdem sie ihn mit pulverisierten Paracetamol-Tabletten versetzt hatte, die, wie sie einmal gelesen hatte, einen negativen Einfluß auf die Nieren ausübten. Mr. Flawse trank keinen Tee im Bett, doch um sie nicht zu kränken, goß er seine Tasse in den Nachttopf, was dazu führte, daß Mrs. Flawses sich erhebliche Hoffnungen machte, als ihr beim Ausleeren die Farbe des Inhalts auffiel. Daß die Flüssigkeit Teeblätter enthielt und sie zu heikel war, diese näher zu untersuchen, weckte die trügerische Hoffnung in ihr, er müsse ein schweres Blasenleiden haben. Schließlich erhöhte sie seine ohnehin beträchtliche Cholesterinzufuhr immens.
Mr. Flawse nahm zum Frühstück Eier zu sich, aß mittags Spiegeleier mit Lammkoteletts, abends Schweinefleisch, Zabaglione zum Nachtisch und einen Eierflip vor dem Schlafengehen. Mr. Flawse gedieh prächtig bei dieser Eierdiät.
Professor Yudkins Rat konsequent ins Gegenteil verkehrend, ergänzte Mrs. Flawse ihre Liste der Nahrungsgifte durch Zucker und tischte, nachdem sie Mr. Flawse noch das eine oder andere Ei oder etwas Schweinebratenkruste aufgedrängt hatte, Süßigkeiten auf, Kuchen und Kekse, die fast zur Gänze aus Zucker bestanden. Mr. Flawses Energie stieg beträchtlich, und wenn er nicht in seinem Arbeitszimmer saß, marschierte er mit neuer Kraft über das Hochland. Mrs. Flawse registrierte seine Fortschritte verzweifelt und ihre eigene Gewichtszunahme voller Beunruhigung. Nichts gegen den Versuch, einen alten Mann durch Völlerei in den Tod zu treiben, aber sie nahm die gleichen Speisen zu sich, was ihr überhaupt nicht bekam. Schließlich machte sie einen letzten verzweifelten Versuch und ermutigte ihn, sich an die Portweinflasche zu halten. Fröhlich folgte Mr. Flawse

Weitere Kostenlose Bücher