Familienkonferenz in der Praxis
Kinder waren sehr erfreut von dem Wandel, der um sich griff. So viel Spannung ist in einer Familie nicht möglich, ohne dass nicht jedes Mitglied in irgendeiner Weise von ihr in Mitleidenschaft gezogen wird. Die älteren Kinder hatten so viel mit dem Studium und Teilzeitbeschäftigungen zu tun, dass sie außer zum Essen und Schlafen kaum zu Hause waren. Ich machte mir große Sorgen um die jüngeren: Lannie, Rob und Carol. Sie waren unsicher und hatten mit Problemen zu tun. So gab ich mir ihnen gegenüber ganz besondere Mühe mit dem aktiven Zuhören. Ich wollte ihre Gefühle und Bedürfnisse kennenlernen.
Unsere inzwischen sechsjährige Tochter Carol war erst zwei, als ich das erste Mal ihr gegenüber vom aktiven Zuhören Gebrauch machte. Mein Mann war mit den beiden älteren Töchtern fortgefahren. Sie begann zu weinen. Ich wollte ihr schon das Fernsehen oder irgendetwas dergleichen vorschlagen, als ich mich des aktiven Zuhörens erinnerte. So sagte ich: »Du bist aufgebracht, weil Daddy fortgefahren ist.« Sie hörte zu weinen auf und sah mich so liebevoll an, dass mich die Rührung übermannte. Sie hatte erkannt, dass ich wusste, wie ihr zumute war und wie sehr sie sich wünschte, mich über ihre Gefühle in Kenntnis zu setzen. So nach und nach ist sie sich ihrer Gefühle und der Gefühle anderer zunehmend
bewusst geworden und sagt es heute ihren Freunden und Lehrern, wenn irgendetwas sie unbehaglich, schüchtern oder verlegen macht. Manchmal sagt sie auch zu mir: »Du bist aufgebracht« oder »Du bist ärgerlich«. Meine Bemühungen, aktiv zuzuhören, haben auch ganz unerwarteten Nutzen gehabt. Beispielsweise hat Steve, unser ältester Sohn, niemals irgendwelche ernsthaften Probleme gehabt. Er hat aber auch nie viel mit uns gesprochen. Eines Tages kam er nach Hause und sah sehr selbstzufrieden aus. Ich sagte: »Du scheinst außerordentlich glücklich zu sein.« Zu meiner Überraschung ließ er sich in einen Stuhl fallen und verbrachte die nächste halbe Stunde damit, mir zu erzählen, wie gut die Dinge in seinem Beruf liefen. Seit Jahren hatte er nicht mehr so viel erzählt.
Auch Mike hat Bedürfnisse, von denen ich mir nie hätte träumen lassen. Er ist ein ausgezeichneter Schüler. Sein Interesse gilt vor allem einer Band und der Schülerselbstverwaltung. Er ist immer sehr selbstständig gewesen, sodass ich mir nie irgendwelche Sorgen um ihn gemacht habe. Aber mir ist doch klargeworden, dass er sehr viel um die Ohren hat und es deshalb durchaus zu schätzen weiß, wenn er seinem Herzen von Zeit zu Zeit Luft machen kann.
Lannie ging in die sechste Klasse und hatte mit den Problemen zu tun, die Mädchen in ihrem Alter nun einmal zu schaffen machen. Für manche Dinge war sie zu alt, für andere nicht alt genug. Sie war weder besonders glücklich noch unglücklich. Ihr gegenüber habe ich vom aktiven Zuhören wohl mehr Gebrauch gemacht als irgendeinem anderen Familienmitglied gegenüber. Und es funktionierte. Die Probleme, über die sie sich aufregte, blieben ihre Probleme. Das aktive Zuhören tastete diesen Besitz nicht an und ließ ihr die Freiheit, selbst Lösungen zu finden, mit denen sie dann auch wirklich zufrieden war. Natürlich machte sie Fehler, aber sie lernte aus ihnen. Beispielsweise war sie Leiterin der Schulaufsicht. Sie mochte es aber nicht, die anderen Mitglieder der Aufsicht darauf hinzuweisen, wenn diese ihre Aufgabe vernachlässigten. Durch dieses Widerstreben bekam sie Schwierigkeiten mit dem Schulleiter. Da ich ihr den Besitz des Problems überließ, war sie in der Lage, es selbst zu lösen. Ich hörte ihr nur zu, als sie es laut durchdachte.
Am schwersten fiel es mir, das Senden von »Ich-Botschaften« zu erlernen. Es hat mir immer wiederstrebt, mich über die ärgerlichen kleinen Dinge zu beklagen, die die Kinder anstellten. Ich mag nicht gerne meckern. So sammelten sich die kleinen Dinge an. Schließlich platzte mir dann aus irgendeinem relativ unbedeutenden Anlass der Kragen, einfach weil das Maß voll war. Es genügte dann, wenn mich irgendjemand während des Abendessens schief ansah, um mich aus der Haut fahren zu lassen. Jetzt benutze ich »Ich-Botschaften«, um zu verhindern, dass diese geringfügigen Anlässe sich anhäufen und mich schließlich platzen lassen.
Auch mein Mann hatte Schwierigkeiten mit den »Ich-Botschaften«. Ihn frustrierte die Vorstellung entsetzlich, dass man Kindern zwar sagen kann, wie man empfindet – dass man sie dann aber entscheiden lassen muss, was sie
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