Familienkonferenz in der Praxis
ich langsam aus dem dunklen Inneren einer Muschel hervor in eine schöne, von Sonnenlicht erfüllte Welt voller Farbe und Musik.
Welche der Dinge, die ich lernte, führten nun eigentlich zu einer solchen Wandlung? Die erste überraschende Entdeckung war die Tatsache, dass ich die Probleme meiner Kinder nicht »in Besitz zu nehmen« brauchte. Es war nicht meine Aufgabe, für die Probleme aller meiner geliebten Kinder Lösungen zu finden. Zweitens lernte ich, mir meine Eigenständigkeit gegenüber meinem Mann und den Kindern zu sichern. Bislang hatte ich mich aufgeregt, wenn irgendjemand von ihnen sich aufregte, und in einer so großen Familie kommt es selten vor, dass sich nicht irgendjemand aufregt. Bei mir heißt aufgeregt sein, dass mein Inneres kalt und klamm wird, dass ich Magenkrämpfe und Durchfall bekomme und dass ich mich am liebsten überhaupt nicht mehr bewege. Die Zubereitung des Essens, überhaupt alles wurde aus Sorge um die Kinder zu einer übermenschlichen Willensanstrengung. Nichts schien mir der Mühe wert zu sein. Ich begriff, dass zu meinem eigenen Wohlgefühl notwendig war, dass jedermann in der Familie glücklich und produktiv war. Ich vermute, dass ich mit dieser Erkenntnis den ersten Schritt zu meiner
Selbstbefreiung machte. Ich begriff, dass ich mich selbst bejahen musste, wenn ich anderen helfen wollte, die sich nicht bejahten.
Das geschah nicht von heute auf morgen. Oben habe ich beschrieben, in welcher Situation Bill und Lisa sich befanden, als wir mit der ›Familienkonferenz‹ begannen. Ich nehme an, sie argwöhnten anfangs, dass wir irgendein neues Verfahren lernten, um sie zu kontrollieren. Als wir ihnen dann aber erzählten, was wir lernten, begannen sie die ›Familienkonferenz‹ langsam als einen Weg anzusehen, der alle unsere Familienbeziehungen verbessern und all jene Spannungen vermindern könnte, die sie ebenso wie uns gestört hatten.
Wir begannen damit, dass wir über unsere Gefühle sprachen. Auf der Kühlschranktür brachte ich eine Liste mit Worten an, die solche Gefühle bezeichneten. Eine zweite Liste befand sich in meinem Notizbuch. Wenn irgendjemand begann, über ein Problem zu sprechen oder in irgendeiner Weise sonst aufgebracht zu sein schien, nahm ich rasch Bezug auf die Liste und sagte: »Du grollst«, »Du bist enttäuscht!«, »Du bist wütend!« oder wählte irgendein anderes passendes Wort. Gewöhnlich handelte ich mir damit Gelächter und Neckereien ein. Dies ist zwar nicht das übliche Ziel des aktiven Zuhörens, aber zumindest war die Spannung entschärft. Allen war wohler zumute, und alle hatten das Gefühl, wir seien auf dem richtigen Wege. Schließlich gelang es mir, das aktive Zuhören etwas geschickter zu verwenden. Sobald die Kinder erst einmal gemerkt hatten, wie angenehm es ist, wenn irgendjemand einem wirklich zuhört, achteten sie nicht mehr so sehr auf die Methode selbst. Das aktive Zuhören erwies sich als die wertvollste Technik, die ich gelernt habe.
Als Bill, der wieder zur Schule ging, mir vor der ›Familienkonferenz‹ mitteilte, dass er vom Unterricht ausgeschlossen sei, habe ich ihn umarmt und geweint. Er tat mir leid, aber auch ich tat mir leid. Viel hilfreicher wäre es gewesen, wenn ich ihn hätte wissen lassen, dass es sich um sein Problem handle und dass ich ihm zutraue, es selbst zu lösen. Ich hätte ihm aktiv zuhören und ihm zu verstehen geben sollen, dass ich ihm in jeder mir möglichen Weise helfen würde, wenn er es wünsche. Am Abend, nachdem ich die Bekanntschaft des aktiven Zuhörens
gemacht hatte, kam er in die Küche. Er kochte vor Wut, weil sein Vater ihm meinen Wagen nicht gegeben hatte. Das letzte Mal war er zu spät zurückgekommen. »Am liebsten hätte ich den Wagen genommen und ihn gegen den nächsten Baum gefahren!«, platzte er heraus.
Früher hätte ich im Stillen gedacht: »Du wirst lange warten können, bevor du das nächste Mal meinen Wagen bekommst!« Stattdessen sagte ich jetzt: »Du bist wirklich wütend!« Und er begann seinem Herzen Luft zu machen. Ich fuhr mit dem aktiven Zuhören fort. Nach einer halben Stunde sprach er ruhig und kaute auf einem Sandwich. Die Feindseligkeit hatte sich vollständig gelegt.
Bei Lisa machte mir das aktive Zuhören zu Anfang große Angst. Es gab viele Dinge, von denen sie uns in jenen unruhigen Tagen nicht erzählen mochte. Schließlich war sie verzweifelt genug, um damit herauszurücken. Damals konnten wir dann aber schon mit ihnen fertigwerden.
Auch unsere anderen
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