Familienkonferenz in der Praxis
Problem
Selten teilen Kinder am Anfang eines Gesprächs mit, was sie wirklich bekümmert. Sie beginnen gewöhnlich mit irgendeiner unwesentlichen Frage – Erziehungsberater nennen es das »vordergründige Problem«. In Unkenntnis dieses Sachverhalts antworten Eltern gewöhnlich mit Kommunikationssperren. Sie forschen nach, geben Ratschläge, belehren oder halten Moralpredigten, wodurch das Kind auf das vordergründige
Problem festgelegt wird. Auf diese Weise wird es daran gehindert, zum eigentlichen Grund seines Kummers vorzudringen.
Anders gesagt, ungeschulte Eltern wollen ihren Kindern helfen, bevor sie wissen, wo das eigentliche Problem liegt. Wenn Eltern aber aktives Zuhören lernen, gelingt es ihnen, zum wirklichen Problem vorzudringen. Dies war bei der geschiedenen Mutter des vierjährigen Mark der Fall, der schrecklich böse auf seinen Bruder wurde.
»Mark hatte Ende Dezember schreckliche Alpträume und litt an Asthmaanfällen. Der Kinderarzt verschrieb ihm Medikamente und sagte, er müsse sich einer Reihe von Allergietests unterziehen. Die Medikamente brachten jedoch kaum Erleichterung. Im Februar nahm ich am Kurs teil. Am Wochenende sah ich Mark und stellte fest, dass er schreckliche Beschwerden beim Atmen hatte – es war wirklich schlimm. Vor dem Schlafengehen setzte ich mich zu ihm ans Bett und versuchte, der Sache auf den Grund zu kommen. Ich sagte: ›Irgendetwas scheint dich wirklich zu bekümmern.‹ Er hatte einen Auftritt mit seinem Bruder gehabt, der ihm eine seiner Zeichnungen zerrissen hatte. Mark hatte ihn angeschrien, war hysterisch geworden und in sein Zimmer gelaufen. Ich sagte: ›Scheint dir nahezugehen, wenn du Timmy anschreist.‹ Er sagte: ›Ja.‹ Ich meinte: ›Das macht nichts, wenn du schreist, mach dir deshalb keine Gedanken.‹ Damit erreichte ich gar nichts. So versuchte ich es wieder mit aktivem Zuhören. Er sagte: ›Wenn ich schreie, zerbrechen mir die Knochen.‹ Er zeigte auf seine Rippen … Er erlitt einen asthmatischen Hustenanfall und fragte: ›Hörst du? Es bricht, es bricht, und auch das Haus bricht.‹ Er meinte das Haus, in dem er mit seinem Vater gelebt hatte. Dann bekam er kaum noch Luft, und sein Asthma wurde wirklich schlimm. Ich sagte: ›Du glaubst, dass das Haus einstürzen wird.‹ Er erzählte mir, dass er das geträumt habe: ›Ich war gerade in meinem Zimmer und spielte – und Papa war nicht da, und meine Knochen waren gebrochen.‹ Daraufhin fragte ich ihn: ›Bist du traurig, weil deine Familie zerbrochen ist?‹ Daraufhin begann er zu weinen. Ich nahm ihn in die Arme und ließ ihn weinen. Als er sich ausgeweint hatte, hatte sich seine
Atmung merklich verbessert. Sollte ich ihm nun in allen Einzelheiten erzählen, warum mein Mann und ich uns getrennt hatten? Aber ich sagte nur: ›Die Familie ist zerbrochen, und das macht dich wütend.‹ Darauf er: ›Nicht wütend, traurig.‹ Ich antwortete: ›Ja, und nun denkst du, alles wird zerbrechen, und du wirst allein sein.‹ So erzählte ich ihm dann, wie man darüber entschieden hatte, wo er in Zukunft leben sollte … Das interessierte ihn. Zwei- oder dreimal wollte er das an diesem Abend hören. Ich berichtete ihm, dass wir beide, sein Vater und ich, ihn behalten wollten. Ich erklärte ihm, dass er bei seinem Vater sein altes Zimmer in dem großen Haus gehabt hätte. Bei mir müsse er sich mit einem kleinen Zimmer in meiner Wohnung zufriedengeben. Ich spielte ihm vor, wie mein Mann und ich uns gestritten hatten: Er: ›Ich möchte Mark nehmen‹, und darauf ich: ›Nein, ich möchte Mark nehmen.‹ Da zeigte sich ein strahlendes Lächeln auf dem Gesicht des kleinen Jungen – und er konnte wieder ganz frei atmen. Es war wie ein Wunder! Unglaublich … Das wiederholte ich ein- oder zweimal in jener Woche. Die ganze Geschichte ging ich noch einmal mit ihm durch – die ganze Szene. Es machte ihm Spaß, sich das anzuhören, und jedes Mal begann er wieder zu weinen … Es kam ganz tief aus seinem Inneren. Jedes Mal schien sich sein Asthma weiter zu verbessern. Heute gibt es keine Spur mehr davon! Nichts. Kein Husten, kein schwerer Atem, nichts. Es ist unglaublich!«
Auch mir scheint es häufig unglaublich, wenn ich von den Eltern Geschichten wie diese höre, die von der erstaunlichen Wirkung des aktiven Zuhörens zeugen.
Es gibt auch viele Beispiele von Kindern, die sich weigerten, zur Schule zu gehen. Sie klagten über Magen- oder Kopfschmerzen, bekamen Wutanfälle, weinten und klammerten sich vor
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