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Familienkonferenz in der Praxis

Familienkonferenz in der Praxis

Titel: Familienkonferenz in der Praxis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Gordon
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ich verschiedene Möglichkeiten. Ich könnte vergessen, dass es überhaupt passiert ist. Da sie dich nicht kennen, würden sie vermutlich niemals herausfinden, wer es getan hat. Oder ich könnte Papa fragen, mir zu helfen, sie wieder heil zu machen. Oder ich könnte hingehen und ihnen mitteilen, dass ich ihre Wäscheleine zerrissen habe und dass ich sie gerne wieder festbinden würde. Schließlich könnte ich noch Alan auffordern, mir beim Festbinden zu helfen. Es gibt also viele Dinge, die ich tun könnte. Aber ich bin nicht ganz sicher, was ich tatsächlich tun würde.
    J : Oh. (Schweigen)
    »Daraufhin ging Jerry ins Wohnzimmer und sah fern. Ich nahm an, er hätte die ganze Sache vergessen und würde gar nichts mehr tun. Eine ganze Weile später ging er hinaus. Nach einer Viertelstunde kam er sehr aufgeregt zur Tür herein.«
    J : Mama, ich habe mich entschlossen, hinzugehen und den Leuten zu sagen, dass ich ihre Wäscheleine zerrissen habe. Ich habe ihnen gesagt, dass es mir leidtue und dass ich sie wieder festbinden wolle. Und,
Mama, der Mann war so nett. Er sagte: ›Oh, das Ding geht andauernd ab. Mach dir deshalb keine Gedanken. Aber vielen Dank dafür, dass du es mir gesagt hast.‹ Ist er nicht nett, Mama?
    »Als mein Mann nach Hause kam, war Jerry so stolz auf sich, dass er ihm die ganze Geschichte noch einmal erzählte. Es war ein sehr aufregender Augenblick für Jerry. Er war so stolz auf sich, und auch wir beide, mein Mann und ich, waren stolz auf ihn, da er selbst eine Entscheidung treffen konnte, ohne dass man ihn dazu hätte anhalten müssen.«

    Hier wird deutlich, wie Eltern ihren Kindern Alternativlösungen vorlegen und dabei diesen die Verantwortung dafür überlassen, für welche (wenn überhaupt für irgendeine) sie sich entscheiden wollen. Zuerst benutzte Jerrys Mutter das aktive Zuhören äußerst geschickt und half ihm dadurch, »das Problem zu definieren« (Schritt I des Problemlösungsprozesses). Dann entschloss sie sich zu Schritt II: »Vorschlagen möglicher Lösungen«. Schließlich blendete sie sich aus dem Problemlösungsprozess aus und überließ es Jerry, sich durch die Schritte III, IV und V allein hindurchzuarbeiten: die »Wertung der Lösungen«, die »Entscheidung über die Lösung« und die »Verwirklichung der Lösung«. Besonders bei kleinen Kindern gibt es Augenblicke, wo es sehr angezeigt ist, einige Alternativlösungen zu nennen, auf die sie unter Umständen nicht selbst kommen. Aber auch in diesen Fällen ist es in der Regel besser, wenn der Elternteil erst einmal abwartet, ob das Kind nicht selbst auf eine Lösung kommt.
    »Sie entwickeln sich viel schneller, als man denkt«
    Viele Eltern berichten mit Erstaunen, wie schnell ihre Kinder gelernt haben, ihre Probleme selbst zu lösen, sobald ihnen die Möglichkeit dazu gegeben wird. Selbst Kleinkinder sind dazu in der Lage, wie die beiden
folgenden Beispiele zeigen, die von der Mutter eines 22 Monate alten Jungen berichtet wurden:

    »Sehr häufig kam er an und sagte: ›Will Wasser trinken, will trinken!‹ Früher wäre ich aufgestanden und hätte ihm zu trinken gegeben. Dann bemerkte ich aber, dass er auf die Toilette klettern und sich selbst einen Schluck Wasser holen konnte. Ich hätte das bei einem so kleinen Kind niemals für möglich gehalten. Als er das nächste Mal wieder etwas zu trinken wollte, sagte ich: ›Ich bin wirklich müde … Ich mag dir nicht schon wieder etwas zu trinken holen. Ich kann nicht schon wieder aufstehen.‹ Aufmerksam hielt er mir sein Gesichtchen zugewandt. Ich meinte: ›Da steht ein Becher auf dem Waschbecken im Badezimmer.‹ Daraufhin ging er ins Badezimmer, kletterte selbst auf die Toilette und nahm sich etwas zu trinken. So machte er es seither immer. Jetzt geht er auch zum Kühlschrank und nimmt sich einen Apfel, statt mich darum zu bitten. Es hat den Anschein, als versuche er seine Bedürfnisse, sobald er sie verspürt, erst einmal selbst zu befriedigen … Das spart mir viel Mühe … Und solche Dinge machen ihn sehr selbstbewusst – sehr stolz auf sich selbst … Dabei entwickelt er sich. Er ist nicht mehr so abhängig von anderen Leuten. Das ist einfach großartig. Ähnlich war es mit der Sauberkeitserziehung. Er kam und sagte, er brauche eine neue Windel. Ich sagte: ›Weißt du, ich mag das nicht mehr tun … Du bist schon so groß und kannst wie Christine auf den Topf gehen … Lass dir von ihr zeigen, wie das geht.‹ Am nächsten Tag komme ich ins Badezimmer und sehe, wie

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