Familienkonferenz in der Praxis
ihre Vorstellungen dazu, die ich mir zwar anhöre, aber es kommt der Moment, wo ich ihnen Anordnungen geben muss, damit sie die Ruhe bekommen, die sie für ihre Gesundheit und Entwicklung brauchen … Als Arzt weiß ich, wie viel Ruhe ihr Körper braucht. Der Schlaf – das ist die entscheidende Zeit für ihre körperliche Entwicklung … Manchmal ist es einfach notwendig, einen Befehl oder eine bestimmte Anweisung auszusprechen.«
Zwar ist es logisch, was dieser Vater sagt, und auch seine Absichten sind die allerbesten. Trotzdem frage ich mich, warum sich seine Ziele nicht ebenso gut dadurch erreichen lassen sollten, dass Kinder und Eltern in einer Problemlösungssitzung klären, wie die Schlafenszeiten so zu regeln sind, dass die Kinder genug Schlaf bekommen. Auf diesem Wege könnte er seinen Kindern sicherlich seine besonderen medizinischen Kenntnisse vermitteln, die zu berücksichtigen sie gar nicht umhinkönnten. Macht oder Strafe wird also wohl von einigen Eltern nicht deshalb verwendet, weil die niederlagelose Methode versagt hätte, sondern
sie versuchen es erst gar nicht. Nehmen wir ein anderes Interview als zweites Beispiel:
»Manchmal mache ich von meiner Macht rücksichtslos Gebrauch – jetzt wird dies oder das getan, ganz egal, was ihr dazu meint! Ich mache das, wenn ich das Gefühl habe, dass meine Bedürfnisse viel stärker als die ihren sind … Ich sage ihnen: ›Wenn ihr irgendetwas nicht mehr braucht, räumt es weg.‹ Und manchmal, zum Beispiel samstags, wenn ich einen anstrengenden Tag hinter mir habe, sage ich: ›In Ordnung, ihr habt nicht getan, worum ich euch gebeten habe.‹ Oder manchmal treffe ich mit Chris eine Vereinbarung, und er hält sich nicht an sie, dann sage ich: ›Okay, ich bestrafe dich.‹ Dann nehme ich ihm irgendetwas für zwei oder drei Tage weg.«
Auch hier wurde die Problemlösung gar nicht erst versucht. Stattdessen hat sich die Mutter von Anfang an für Macht und Strafandrohung entschieden (schließlich hat sie sogar wirklich gestraft).
Das scheint nebensächlich zu sein, ist aber entscheidend und einer eingehenderen Betrachtung wert: Manche Eltern wenden Macht an oder drohen mit ihr, bevor noch irgendein Konflikt vorliegt. In jeder anderen Beziehung, sagen wir zwischen Mann und Frau, würde sich solch ein Verhalten recht merkwürdig ausnehmen. Nehmen wir an, ich sagte zu meiner Frau: »Liebes, könntest du den Anzug heute in die Reinigung bringen – ich habe dazu keine Zeit, weil ich in diese Sitzung muss.« So weit, so gut, aber was wäre, wenn ich dann hinzufügte: »Du machst das, ganz gleich wie du dazu stehst!«
Ich bin davon überzeugt, dass sie keine große Lust hätte, den Anzug zur Reinigung zu bringen. Sie wäre über diesen »Machtmissbrauch« wütend. Unserer Beziehung würde das nicht gerade guttun. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Kinder anders reagieren.
Zahlreiche Eltern haben von Situationen berichtet, in denen sie den Machtgebrauch durch den Umstand gerechtfertigt sahen, dass das Kind vor irgendeiner Gefahr geschützt werden müsse:
»Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es besonderer und unbedingt zu befolgender Regeln und Vorschriften bedarf, wenn man mit einem Gewehr des Kalibers 22 zum Schießstand geht. Ist das nicht der Fall, wird es unter Umständen jemand mit seinem Leben bezahlen. Es kann ein Unfall passieren, und der ist dann mein Problem. Ich bin verantwortlich für meinen Zehnjährigen, wenn er mit einem solchen Gewehr umgeht … Wenn ich ihn nicht sofort mit einer Ich-Botschaft beeinflussen kann, bin ich dazu gezwungen, mich eines Befehls zu bedienen.«
Soll dieser Vater von seiner Macht Gebrauch machen? Einige Absolventen unseres Kurses sind dieser Meinung. Häufig führen sie ähnliche Situationen an, um die Richtigkeit dessen infrage zu stellen, was in der ›Familienkonferenz‹ gelehrt wird – oder genauer dessen, was wir ihrer Meinung nach lehren. Offensichtlich können einige Eltern nicht zur Deckung bringen, was das Familienkonferenzmodell empfiehlt und was nach ihrer Auffassung angemessenes elterliches Verhalten in solchen konkreten Alltagssituationen wäre.
In der Abbildung unten wird deutlich, wie ich die Situation mit dem Gewehr analysiere. Nehmen wir an, der Vater hat gesehen, dass sein zehnjähriger Sohn mit dem geladenen und entsicherten Gewehr in das Auto steigt – offensichtlich eine sehr gefährliche Handlung und ganz gewiss nicht akzeptabel für den Vater. Das Rechteck des Vaters wird in
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