Familienkonferenz in der Praxis
funktionierte. Schließlich tat auch Susie ihren Teil nicht mehr. Ich sagte irgendetwas wie: ›Das
Papier liegt immer noch draußen‹ oder ›Sammelst du das Papier auf?‹ Vielleicht begann ich auch, es selbst zu machen. Ja, wahrscheinlich war es das. Jedenfalls muss ich zugeben, dass es ein Misserfolg war.«
Ohne es zu wollen, vermittelte diese Mutter Mae und Sue den Eindruck, sie brauchten sich nicht an gemeinsame Entscheidungen (Übereinkünfte) oder Verpflichtungen (Versprechen) zu halten. Denn schließlich würde sich die Mutter ja doch ihrer Pflichten annehmen. Eine ganz andere Lehre hätten die beiden Mädchen erhalten, wenn ihnen die Mutter eine starke Ich-Botschaft gesendet hätte. Sie hätte den Kindern darin genau mitteilen müssen, wie ihr angesichts der Tatsache zumute war, dass die Mädchen ihre Vereinbarung nicht einhielten – z. B.: »Wenn wir eine Vereinbarung treffen und ihr sie nicht einhaltet, bekomme ich nicht die Hilfe, die ich brauche. Dann werde ich wütend.«
Einige Eltern verfallen in den Fehler, ihr Heil dann wieder bei Methode I zu suchen. Sie versuchen das Problem, das durch den Bruch der im Rahmen von Methode III getroffenen Vereinbarungen entsteht, mittels ihrer Macht zu lösen, wie wir im folgenden Beispiel beobachten können:
»Morgens pflegten die Kinder den Kühlschrank zu plündern. Wir sind nun aber auf die Lebensmittelmarken der Wohlfahrt angewiesen. Deswegen ist das Essen bei uns für die ganze Woche eingeteilt. Wir lösten die Frage in einem Problemlösungsprozess und entschieden uns gemeinsam für Folgendes: In den Eisschrank sollte eine ›Aufwachschachtel‹ gestellt werden – ein Schuhkarton mit Obst und einem kleinen Imbiss, Nutellaschnitten und irgendeiner Überraschung. Sie durften sich aus dem Karton nehmen, was sie wollten – aber nicht mehr. Ich hielt das für eine ideale Lösung und sie ebenfalls. Am nächsten Morgen fehlte eine Packung Hotdogs. Als hätten wir überhaupt keine Lösungsversuche unternommen … Ich mag Ihnen gar nicht sagen, was wir daraufhin taten: Wir schlossen die Kinder in ihre Zimmer ein, bis wir aufgestanden waren.«
Der Rückgriff auf die Macht, wenn Kinder sich nicht an ihre Verpflichtungen halten, macht das eigentliche Ziel der niederlagelosen Problemlösung zunichte: den Kindern mehr Verantwortungsbewusstsein und Selbstdisziplin zu vermitteln. Außerdem straften die Eltern die Kinder in dem Moment, als sie sie in ihren Zimmern einsperrten. Damit beschworen sie aber auch alle Gefahren der Strafe herauf: Groll, Feindseligkeit, Rachsucht, Unehrlichkeit und ähnliche Haltungen.
Noch einmal möchte ich allen Eltern empfehlen, es in solchen Situationen mit starken Ich-Botschaften zu versuchen, statt sich auf ihre Machtmittel zu besinnen.
Vielleicht hilft es den Eltern, wenn sie sich ihrer eigenen Kindheit erinnern – wie schwer es ihnen damals fiel, Verpflichtungen einzuhalten, und wie verführerisch die Hoffnung war, die Eltern würden es schon nicht allzu schwer nehmen, wenn man sich nicht an solche Vereinbarungen hielt. Verantwortungsbewusstsein und Vertrauenswürdigkeit lassen sich nicht im ersten Anlauf lernen. Sie müssen geübt werden wie Klavierspielen oder Tennis. Dabei stehen den Eltern verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, den Lernprozess zu beschleunigen:
– Sie können Ich-Botschaften senden.
– Sie können auf aktives Zuhören umschalten.
– Sie können eine stärkere Ich-Botschaft senden.
– Sie können einen neuen Problemlösungsprozess in Gang setzen, um festzustellen, ob sich eine bessere Lösung finden lässt.
– Sie können in einem Problemlösungsprozess zu klären versuchen, warum das Kind sich nicht an die Verpflichtungen hält.
Natürlich können Eltern trotz all dieser ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten fragen: »Aber was ist, wenn alles nichts nützt?« In allen Interviews ist uns nur von einem einzigen Kind berichtet worden, das fortgesetzt gegen eine Vereinbarung verstieß, obwohl wiederholte Versuche gemacht wurden, es durch machtfreie Methoden zu beeinflussen. Es handelte sich um ein 18-jähriges Mädchen, das sich damit einverstanden
erklärt hatte, den Stall sauber zu halten, wenn ihre Eltern ihr ein Pferd kauften. Sie tat es aber nicht. Man stellte sie zur Rede. Sie sagte, sie sei bereit, den Stall auszumisten. Die Tage vergingen, der Stall wurde nicht gesäubert. Abermals wurde sie dazu aufgefordert. Wieder versprach sie, sich zu bessern. Der Vater des Mädchens, ein sehr
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