Familienkonferenz in der Praxis
ich Melanie das erste Mal in ihrem Leben. Sie war sechs Jahre alt. Alle im Kurs waren davon schockiert. Ich war mir darüber klargeworden, dass ich meine ersten beiden Kinder nach Methode I großgezogen hatte und die beiden folgenden mit der Methode II. Zu diesen gehörte auch Melanie. Mein Groll ihr gegenüber war immer mehr angewachsen. Schließlich erfuhr ich im Kurs, welche Macht Kinder ausüben können. Das machte mich so wütend auf das Kind, dass ich es schlug … Durch dieses Schlagen sagte ich ihr ganz einfach: ›Ich bin nicht länger gewillt, dich tun zu lassen, wozu du Lust hast.‹ Ich wollte mich nicht überrollen lassen.«
Es ist kaum wahrscheinlich, dass diese Schläge, die von so außergewöhnlicher Bedeutung für die Mutter waren, jemals wiederholt wurden. Sie waren wohl einfach nötig, um ihrem Ärger darüber Luft zu machen, dass sie sechs Jahre lang allzu nachgiebig gewesen war.
Eine andere Mutter berichtete, sie habe ihren vierjährigen Sohn geschlagen, der allen Bemühungen zur Sauberkeitserziehung widerstanden habe:
»Ich konnte es einfach nicht ertragen, dass ein vierjähriges Kind, das bald in den Kindergarten kommen sollte, noch nicht sauber war. Vor unserer Teilnahme an dem Kurs hatten wir ihn lächerlich gemacht, ihm Spielsachen fortgenommen, ihn geschlagen, ihn bestraft, ihm ein Stofftier versprochen, wenn er sein Geschäft in die Toilette mache. Nichts half … Aber auch die ›Familienkonferenz‹ leistete keinen Beitrag zur Sauberkeitserziehung. Eines Tages wurde mein Mann Clark entsetzlich wütend auf Bill – er hatte seine Windeln sechs- oder siebenmal in drei oder vier Stunden wechseln müssen. Wissen Sie, Bill unterdrückte seinen Stuhlgang absichtlich. Dann machte er ein wenig in seine Windeln, sodass Clark sie ihm wechseln musste. Dann machte er wieder ein bisschen. Es war schrecklich. Clark verlor einfach die Beherrschung und schlug ihn wirklich hart – ich meine sehr hart. Von da an machte Bill es nie wieder. Zuhören und Verständnis waren ohne jede Wirkung geblieben.«
Obwohl nicht ganz klar ist, was Bill »niemals wieder getan hat«, kann man sicherlich Verständnis für die Lage des Vaters aufbringen. Damit ist aber die Frage noch nicht beantwortet, ob Bills hartnäckiger Widerstand gegen die Sauberkeitserziehung nicht auch mit der niederlagelosen Methode hätte überwunden werden können. Die Mutter gab zu, dass der Versuch, ihn zu beschämen, ebenso erfolglos blieb wie Entzug, Strafe und die Aussicht auf Belohnung. Warum haben es die Eltern nicht mit der Problemlösung versucht? Auch sie scheinen zu »Zuhören und Verständnis« Zuflucht genommen zu haben. Stattdessen wäre aber die Problemlösung erforderlich gewesen. Besaßen doch die Eltern, nicht Bill, das Problem. Wir können nur vermuten, was dabei herausgekommen wäre, wenn die Eltern von Methode III Gebrauch gemacht hätten. Sie hätten mit folgender Äußerung beginnen können:
»Bill, wir haben ein Problem. Aus irgendeinem Grund hast du nicht gelernt, dein Geschäft auf dem Klo zu machen. Mama und ich haben aber keine Lust, dich ständig zu wickeln. Wir hassen das. Andererseits können wir den Gestank nicht aushalten. Das ist ein ernstes Problem für uns. Wir wollen sehen, ob wir eine Lösung finden können, mit der du zufrieden bist und mit der auch wir glücklich werden können.«
In vielen Familien haben Eltern außerordentliche Erfolge bei der Problemlösung selbst mit Vierjährigen erzielt – sogar mit Kindern, die nicht älter als zwei waren. Ich sehe keinen Grund dafür, dass die Methode bei Bill hätte versagen sollen, hätte man sie nur erprobt.
Warum werden Kinder von Eltern geschlagen? Meines Wissens hat man das nie mithilfe empirischer Studien herauszufinden versucht. Die Hypothese, die ich aus der Arbeit mit Eltern in der ›Familienkonferenz‹ gewonnen habe, besagt, dass drei Faktoren zusammenwirken, wenn eine Mutter oder ein Vater schlägt, Ohrfeigen verteilt, kneift, schubst, knufft:
Die eigenen Eltern haben diese körperlichen Strafen ihnen gegenüber angewendet.
Sie wissen nicht, dass es machtfreie Alternativen zur körperlichen Züchtigung gibt.
Sie greifen zu diesen Methoden, wenn sie verzweifelt, in Panik, frustriert – wenn sie am Ende ihrer Weisheit sind.
Eine Mutter analysierte die Umstände, unter denen sie schlug, etwas genauer:
»Ich schlug sehr häufig. So hatte man mich selbst erzogen … Wir beide, mein Mann und ich, sind in Familien groß geworden, in denen
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