Familienkonferenz in der Praxis
gute Lösung war.‹«
Die Mutter war damit einverstanden, es am folgenden Tag mit einer neuen Problemlösung zu versuchen. »Es war völlig unrealistisch, darauf einzugehen, aber die Lösung erschien ihr so einfach und einleuchtend, dass sie sich dazu verpflichtete. Abends dachte sie anders darüber.«
Zwar bewundere ich die Mutter, dass sie an sich hielt und nicht eingriff, als Jessie diesen Vorschlag machte, doch hätte der Mutter auch eine andere Möglichkeit offengestanden. Sie hätte nämlich sagen können: »Bist du sicher, dass du das wirklich willst? Das scheint mir doch sehr früh für ein Mädchen zu sein; das gewohnt ist, um halb zehn zu Bett zu gehen.« Vielleicht hätte Jessie dann ihren ersten Vorschlag doch mit anderen Augen betrachtet.
Der Vorteil einer solchen Botschaft liegt darin, dass das Kind sehr wahrscheinlich davon überzeugt wird, die Mutter interessiere sich wirklich für seine Bedürfnisse. Erinnern wir uns: Kleinen Kindern fehlt es an der Erfahrung, sich zu vergegenwärtigen, wie leicht oder schwer eine Verpflichtung ist. Deshalb soll man zu Anfang nicht fest darauf pochen.
Auch bei einer anderen Sorte von Lösungsvorschlägen sollte man skeptisch sein.
Wenn Sie wissen, dass Ihr Kind Schwierigkeiten hat, sich zu behaupten, wenn es allzu bereitwillig seine eigenen Bedürfnisse verleugnet, um anderen zu gefallen, sollten Sie seine Vorschläge mit Vorsicht aufnehmen. Nehmen wir den kleinen Tim als Beispiel:
»Tim und Gina spielten mit einem Wagen im Wohnzimmer. Der Lärm störte mich beim Gespräch mit einer Freundin. Ich rief die beiden zu einer kleinen Problemlösungssitzung zu mir. Nach meiner Ich-Botschaft sagte ich: ›Versuchen wir einen guten Vorschlag zu finden, der uns alle glücklich macht.‹ Daraufhin sagte Tim: ›Wir spielen nicht mehr mit dem Wagen.‹ Eine typische Bemerkung für Tim: Stell um Gottes willen jeden Erwachsenen zufrieden, mit dem du zu tun hast. Ich antwortete: ›Glaubst du, dass es dich glücklich macht, wenn du nicht mehr mit dem Wagen spielst? Ist das eine gute Lösung für dich?‹ Da mischte sich Gina ein und sagte: ›Nein, nein, Tim, halt den Mund; ich mach das schon.‹ Sie schob ihn beiseite und sagte: ›Wir können in der Küche nicht spielen, weil uns der Mülleimer im Weg steht.‹ Ich antwortete: ›Okay, ich nehme den Mülleimer raus. Könnt ihr dann in der Küche spielen?‹ Sie nickte, und Tim sagte: ›Ja.‹ Ich nahm den Mülleimer heraus, und sie ließen sich im Wohnzimmer nicht mehr blicken.«
Hieraus haben wir die Lehre zu ziehen, dass einige Kinder allzu bereitwillig sind aufzugeben und eine Lösung zu akzeptieren, die ihren Bedürfnissen nicht gerecht wird. Tims Schwester Gina kam ihm in diesem Beispiel zu Hilfe. Eltern sollten aber grundsätzlich darauf achten, ob solch ein Lösungstypus vorliegt, und sehr genau prüfen, ob sich in dem Vorschlag des Kindes nicht zu viel Unterwürfigkeit und Selbstverleugnung ausdrückt.
Gibt es überhaupt eine Rechtfertigung für Macht und Strafe?
Einige Eltern haben in unserer Erhebung berichtet, warum sie sich – aus den vielfältigsten Gründen – doch dazu entschlossen (oder dazu getrieben wurden), auf ihre Macht- und Strafmittel zurückzugreifen.
Die Interviews mit ihnen oder die von ihnen ausgefüllten Fragebogen sind eine sehr interessante Informationsquelle. Aus ihnen haben wir erfahren,
wann die Eltern Macht anwendeten und warum sie meinten, das sei notwendig. Manchmal führte der Machtgebrauch, wie nicht anders zu erwarten, zu den erwünschten Ergebnissen, manchmal erwies er sich aber auch als zweischneidiges Schwert, was ebenfalls zu erwarten war.
Manche Eltern bedauerten anschließend, dass sie von ihrer Macht Gebrauch gemacht hatten, und berichteten von Schuldgefühlen. Andere verteidigten den Machtgebrauch und fühlten sich durchaus im Recht.
Ein Vater, ein Arzt, war sich offensichtlich der Nachteile und schädlichen Auswirkungen der Macht bewusst, doch rechtfertigte er ihre Verwendung, wenn die Gesundheit seiner Kinder auf dem Spiel stand:
»Wenn man sie in der Atmosphäre von Autorität, Befehlsgewalt und Kontrolle aufwachsen lässt, wird man sie verlieren … Diese Erkenntnis hat meine Denkweise verändert – ich versuche nicht mehr, ihr Leben für sie zu leben … Durch die ›Familienkonferenz‹ bin ich heute besser in der Lage, sie aus meiner Kontrolle zu entlassen … Ich glaube, mein entscheidendes Problem ist die Frage, wann sie schlafen müssen. Sie haben
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