Familienpackung
sind ja schöne Aussichten. Wir laufen an der Straße entlang, werden von zwei türkischen Männern, die am Straßenrand sitzen und in aller Gemütsruhe Pistazien pulen, beguckt wie Geisteskranke und insgeheim gebe ich ihnen vollkommen Recht. Warum tue ich mir das an? Nach circa 400 Metern biegen wir in einen recht verdörrten Kiefernwald ein und mein Puls ist schon auf 160 . Hoffentlich überlebe ich diesen kleinen Ausflug. Der Streber überholt. »Tim, ich kenne die Strecke, ich laufe eben schon ein Stückchen vor«, teilt er im Vorbeilaufen mit. Der Animateur gibt sein Okay. Ein Zeichen auch für alle anderen. Die Truppe spurtet an mir vorbei. Ich dachte, wir würden volle Pulle laufen – von wegen. »Ich kann nicht schneller«, stöhne ich. Selbst das Sprechen fällt mir schwer. »Trainierst du regelmäßig?«, will Tim wissen. Soll das jetzt ein kleiner Scherz sein? Will der mich verarschen? Ich möchte mich einfach nur hinsetzen und abholen lassen. Was mache ich überhaupt in diesem hässlichen Wäldchen? Überall Müll und dazu massenweise Sand. Im Wald! Da hätten wir ja gleich am Strand laufen können, da wäre ich wenigstens noch ein bisschen braun geworden bei der Schinderei. Und weniger Müll liegt da zum Glück auch. Mein Puls steigt auf 170 und Tim hat Erbarmen.
Wir gehen ein paar Schritte und unterhalten uns. Das ist doch schon sehr viel angenehmer. Tim ist seit zwei Jahren
im Club tätig. Im Winter in einem Skiclub, im Sommer immer hier in der Türkei. »Und – der Traumjob?«, will ich wissen. Er lacht, fast ein wenig hysterisch. »Anfangs ja. Aber jetzt – es ist das Grauen. Du malochst rund um die Uhr und dann dauernd so Typen wie dieser Klaus. Diese Alpha-Tiere, diese Bosse vom Affenfelsen, denen kannst du ja nichts recht machen. Und ständig versuchen sie, dir zu zeigen, was sie alles besser können. Mann, geht mir das auf die Eier.« Oh, da habe ich ja in ein feines Wespennest gestochen. Tim scheint froh zu sein, mal richtig ablästern zu können. »Ich mache seit einem halben Jahr die Leitung im Sport. Von morgens bis abends. Sport. Und hinterher jeden Abend Show. Aber immer noch besser, als im Kinderclub beschäftigt zu sein. Die Kollegen sind ja kurz davor, sich ins Meer zu stürzen.« Jetzt bin ich doch ein wenig erstaunt. Kinder sind doch an sich leicht zu animieren. Er ahnt, was ich denke. »Die Kinder sind gar nicht so das Problem. Aber die Eltern. Die stellen sich vielleicht an. Unglaublich. ›Warum spielt meine Jenny nicht die Hauptrolle? Achten Sie bitte darauf, den Lukas alle zwei Stunden einzucremen, die Lotta ist allergisch gegen Milben und der Jean-Pierre mag keine Ballspiele.‹ So geht das rund um die Uhr. Und dazu die Eifersüchteleien. ›Immer kriegt diese Nadine zuerst ein Eis. Warum sitzt der Holger und nicht mein Nicolas beim Essen neben dir?‹, und so weiter und so fort. Es gibt kein Thema, das zu profan wäre. Ein Albtraum. Und kaum hast du kapiert, dass Lotta allergisch gegen Milben ist, reist sie auch schon wieder ab und der nächste Schwung ist da. Es hört nie auf.« Ich zeige Verständnis und überlege schnell, womit ich die Kinderbetreuer schon zugetextet habe. »Claudia muss einen Hut tragen, sie verbrennt schnell am
Kopf, Claudia vergisst manchmal aufs Klo zu gehen, bitte regelmäßig schicken und Claudia darf nicht ohne Aufsicht ins Wasser.« Das geht ja eigentlich noch.
Der Club, in dem wir Urlaub machen, ist ein so genannter Familienclub. Es gibt extra Single- und extra Familienclubs, weil die Anspruchsprofile doch meist sehr verschieden sind. In den Singleclubs soll die Hölle los sein. Paarungswillige allerorten, die ständig von Zimmer zu Zimmer hopsen. Sodom und Gomorrha geradezu. Ich frage Tim: »Sind Familienclubs nicht viel beschaulicher, so in mancher Hinsicht, meine ich?« Tim grinst. »Von wegen, was das angeht, ist in den Familienclubs mindestens so viel los wie in den anderen.« »Hä?«, frage ich, »was soll denn das heißen?« Tim rollt mit den Augen – sehr schöne, grüne Augen übrigens –, »Wenn ich wollte, könnte ich jeden Tag eine andere Ehegattin vernaschen. Die sind so was von ausgehungert, das ist unglaublich. Ich bekomme die heißesten Angebote. Nach dem Motto ›Du Timmy-Baby, der Dieter surft die nächsten Stunden, da könntest du auch neue Wahnsinnswelten erobern‹ und so ein Kram. Lippenlecken, heimliches Antatschen, das ganze Programm halt.« Ich bin bass erstaunt. Wie abgebrüht. »Manche sagen auch nur: ›Soll ich
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