Familienpackung
Mann eben ein Mann ist und dass insgesamt viel Elend unterwegs ist, will mir aber über Leo nach einmaliger Besichtigung auch noch kein Urteil erlauben. Auf den ersten Blick hat er allerdings wenig von einem Traumprinz. Er ist eher ein durchschnittlicher Typ. Rein optisch jedenfalls. So ein typischer Mann eben, so wie man ihn Tag für Tag massenhaft an allen deutschen Flughäfen sehen kann. Übersichtliches
Haupthaar, korpulent um die Mitte rum, Brille und sonst kann ich mich an nichts erinnern. »Leo ist im Vorstand der Deutschen Bank«, raunt sie mir zu, »du kennst ihn doch bestimmt.« Woher soll ich den denn kennen? Gehört das jetzt zur Allgemeinbildung, die Vorstände in deutschen Großunternehmen namentlich zu kennen? Da lerne ich ja lieber die Nebenflüsse der Donau auswendig. Aber eins ist somit klar – Leo hat mit Sicherheit einen Haufen Geld. Das erklärt die Klamotten des blassen Kindes und den fetten Diamanten um Lillis Hals. Ein Stein so groß, dass ich bis eben niemals auf die Idee gekommen wäre, er könnte echt sein. Geld kann einen Mann mit Sicherheit in der Attraktivitätsskala ein wenig hochstufen. Anders ist der Erfolg von Dieter Bohlen oder Oli Kahn ja wohl kaum zu erklären. »Leo ist ein bisschen älter als du, oder?« Wieder lacht Lilli, »Ein ganz klein bisschen, einundzwanzig Jahre, um genau zu sein. Aber er liebt dieses Junge an mir.« Wie klassisch und gewöhnlich ist das denn? Da lässt so ein Typ seine Frau mit drei Kindern sitzen, weil er sich rein zufällig in eine 21 Jahre Jüngere verliebt hat. »Hattest du ein schlechtes Gewissen wegen der Frau und den Kindern und so?«, wage ich einen Vorstoß in einen Themenbereich, der mich genau genommen nichts, aber auch rein gar nichts angeht. »Ne, kein Stück. Die hatten sich lange auseinander gelebt. Da lief nichts mehr zwischen denen. Gar nichts. Du verstehst, was ich meine?« Ich verstehe zwar, dann aber doch wieder nicht. Hat sie nicht eben erst gesagt, dass das jüngste Kind ihres Mannes zwei Jahre alt sei? Und dass sie seit einem Jahr mit Leo liiert ist? So lange kann da ja dann noch keine Funkstille geherrscht haben. Aber, was soll’s. Es ist ihr Leben und nicht meins. Ich hätte bei solchen
Männern immer meine Zweifel. Wer einmal gegen eine viel Jüngere austauscht, tut das auch wieder, oder?
Bauch-Beine-Po ist anstrengend, aber machbar. Ein wenig blöd ist nur, dass wir auf einer Art Freilichtbühne turnen. Ganz am Rand des Clubgeländes, in unmittelbarer Nachbarschaft zum nächsten Hotel. Hier scheint unter den Kerlen im Hotel der Bauch-Beine-Po-Kurs des Clubs ein echter Geheimtipp zu sein. Zum Glotzen. Mindestens vier Kerle stehen und gucken. Womit Männer zu erfreuen sind, immer wieder erstaunlich. Meine Muffins, die Waffel und das Rührei werden schön durchgeschüttelt und mein Sportbedarf ist für die nächsten Wochen eindeutig gestillt. Am Schluss des Kurses klatschen die Kerle. Ich glaube, es gilt eher der Trainerin, der schönen Dani, als mir, aber ich genieße trotzdem mit. Verglichen mit dem Joggen kann ich Bauch-Beine-Po durchaus als Erfolg werten.
Ab 13 . 00 Uhr gibt es zum Glück wieder Nahrung. Im Strandrestaurant. Verhungern muss im Club wirklich keiner. Christoph, der sich am Pool mit Mark vergnügt hat, ist bester Dinge und freut sich auf seinen nachmittäglichen Surfkurs. Ich habe beschlossen, heute Mittag nur faul am Strand zu liegen, und wenn ich mich überhaupt bewege, dann nur, um mich auf der Liege zu wenden. Claudia isst mit uns zu Mittag und will dann gerne mit mir zum Strand. Sie ist sauer, weil sie wie die Vierjährigen eine Wolke bei der Kinderaufführung sein soll. »Ich bin aber schon fünf«, jammert sie rum. »Ich will Fee sein und nicht Wolke. Wolke ist blöd.« Stimmt, aber nach dem, was mir Tim heute Morgen beim Joggen, vielmehr beim Spazierengehen, erzählt hat, bin ich die Letzte, die in den Kinderclub marschiert, um sich zu beschweren. Es schadet Kindern wahrscheinlich
auch nicht, mal nicht die Hauptrolle zu spielen. Ich bin generell auch eher auf Nebenrollen abonniert. »Vielleicht nächste Woche«, tröste ich sie, aber es kostet einige Überredungskünste, sie wieder in den Club zu verfrachten. Mark geht gar nicht. Sie wollen ihn nicht. Dabei kann er so ein nettes Kind sein. Interessiert aber keinen. Angeblich hätte im Prospekt gestanden, dass man die Unter-Zweijährigen nur in der Nebensaison betreut. Hätte ich mal genauer auf das Kleingedruckte geachtet.
Mark buddelt, ich döse
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