Familienpakt: Kriminalroman (German Edition)
ausgestiegen. Dann hätte sie sich ein Taxi geschnappt und wäre auf dem schnellsten Weg zum Weinmarkt gefahren. Dort wohnte Paul, ein Kurzzeitliebhaber und seitdem guter Freund von ihr. Paul hatte immer ein offenes Ohr für ihre Sorgen und Nöte. Er würde ihr jetzt guttun.
Aber Jasmin ließ den Wagen nicht stoppen. Sie beobachtete den stockenden Verkehr vor ihnen, tippte dem Fahrer auf die Schulter und sagte: »Scheißegal, was der Chef sagt. Schalten Sie das Blaulicht wieder ein. Ich nehme das auf meine Kappe.«
31
Keller sah dem Tod ins Auge. Seltsame Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Etwa der, dass es für ihn als leidenschaftlicher Polizist nach einem pflichterfüllten Leben ein angemessenes Ende bedeuten würde, sozusagen im Dienst zu sterben. Es würde sich ein Kreis schließen, und er könnte mit der Gewissheit aus dem Leben scheiden, dass er seinen Teil zur Bekämpfung des Verbrechens bis zuletzt geleistet hätte. Sein Einsatz wäre nicht umsonst gewesen, selbst wenn ein endgültiger Sieg über das Böse niemals gelingen würde. Denn das Verbrechen ähnelte dem Haupt der Medusa. Sobald man einen der vielen Schlangenköpfe abschlug, wuchsen zwei neue nach. Aber es brauchte Menschen wie ihn, die diese Aufgabe übernahmen. Keller hatte in seinen vielen Jahren als Kriminalbeamter viele Schlangenköpfe abgeschlagen und durfte zuversichtlich sein, dass er mit jungen Kräften vom Schlage einer Jasmin Stahl würdige Nachfolger finden gefunden hatte, die den Kampf gegen das Böse fortsetzten.
In gewisser Weise wähnte sich Keller bereit dazu, die Entscheidung des Schicksals zu akzeptieren und loszulassen.
Doch ein anderer Teil von Kellers Seele stemmte sich mit aller Macht gegen diesen Anflug von Fatalismus. Keller, der Familienmensch, war nicht gewillt zu sterben! Nicht jetzt und auch noch nicht in den nächsten Jahren! Konrad Keller wollte das Leben als Rentner genießen, noch viel gemeinsame Zeit mit seiner Frau nachholen, er wollte für seine Kinder da sein und den Enkelinnen beim Wachsen zusehen. Keller hatte viel vor. Und er wurde gebraucht: als Ehemann, Vater und Opa.
Bartels hielt die Pistole in der ruhigen Hand eines Chirurgen und zielte auf Kellers Herz. Ein metallisches Klicken verriet, dass er die Waffe entriegelte und den Lauf der Walther P99 durchlud.
Keller schluckte schwer. In der vagen Hoffnung, dass sich ein nikotinsüchtiger Patient trotz der Kälte auf die Terrasse verirren und sie sehen würde, blickte er sich um. Doch sie blieben allein und befanden sich außer Sichtweite des zuführenden Ganges.
Keller musste sich wohl oder übel entscheiden, ob er mit einem Gefühl der Zufriedenheit und Ausgeglichenheit aus dem Leben scheiden wollte oder mit der brennenden Sorge, das Wichtigste verpasst zu haben.
Bartels verschaffte ihm Bedenkzeit, indem er redete, statt zu schießen. Er wollte, dass Keller ihm weiter zuhörte, bevor er ihm das Leben nahm: »Als Wollschläger, dieser arme Idiot, seinen völlig laienhaften Rachefeldzug gegen uns startete und schon im Ansatz scheiterte, sah ich meine Chance gekommen, um mein Auffliegen zu verhindern. Mit einem Schlag hatte ich die Möglichkeit, all diejenigen aus dem Weg zu räumen, die einen Verdacht gegen mich hegten. Und das Beste war: Ich konnte die Schuld dafür einem anderen in die Schuhe schieben, der noch dazu bereit war, diese Schuld für mich zu tragen.«
»Sie haben also den Narkoseapparat und die Autobremsen manipuliert«, sprach Keller aus, was er längst ahnte.
»Ja. Den Anfang hat aber Schwester Ingeborg gemacht. Wollschläger hatte wohl Skrupel beim Zustechen mit seinem Messer. Ingeborg hätte die Messerattacke ohne Weiteres überlebt.«
Keller sah Bartels fassungslos an, als er seine Vermutung bestätigt fand: »Sie haben sie umgebracht, als Sie vorgaben, Erste Hilfe zu leisten?«
»Nicht ganz, denn gestorben ist sie ja erst später. Ich habe lediglich nachgebessert und dafür gesorgt, dass die Verletzungen ganz sicher letal sein würden.«
»Sie sind ein kaltblütiger Mörder«, sagte Keller voller Abscheu.
»Nur aus der Not heraus. Reiner Selbstschutz.«
»Diente es auch dem Selbstschutz, Anne und Rolf zu ermorden?«
»Die beiden standen eigentlich gar nicht auf meinem Plan. Sie fingen eines der Gerüchte ab, die über mich kursierten und stellten ihre eigenen Nachforschungen an. Im Internet fanden sie ein Bild von mir aus früheren Zeiten in Thüringen und zählten eins und eins zusammen. Die beiden haben mich erpresst.
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