Familientherapie ohne Familie
indiziert? Auch hier sind eindeutige Indikationen nur schwer nennbar, da viele Faktoren eine Rolle spielen. In Abgrenzung zur systemischen Familien therapie muss man wohl folgende Bereiche nennen:
1. Familien lehnen eine Therapie ab. Etwa weil sie weit entfernt wohnen, einer Familientherapie gegenüber skeptisch sind oder den großen Aufwand scheuen. Zwar gibt es Wege, auch solche Familien zu überzeugen, häufig gelingt dies aber nicht.
2. Ein Patient lehnt eine Familientherapie ab, da er sich scheut, bestimmte Probleme vor der Familie auszubreiten
oder er keine direkte Verbindung zwischen seinen Problemen und der Familie erkennt. Diese Variante betrifft oft den niedergelassenen Psychotherapeuten. Ein Patient hat die Wahrnehmung (die innere Landkarte) von einem Problem, das ihn in erster Linie alleine betrifft. Auch wenn der Therapeut eine andere Auffassung von den Zusammenhängen haben sollte, ist es sinnvoller, erst einmal die »Krankheitstheorie« des Patienten zu akzeptieren und ihn allein zu sehen.
3. Sehr viel seltener wird es aktuell die Situation geben, dass Institutionen eine Arbeit mit ganzen Familien ablehnen, weil sie grundsätzlich das Individuum als Quelle der Problematik betrachten. Ich selbst stand eine Zeit lang in dieser Problematik und fand es schwierig, mich in doppelter Weise zu engagieren: auf der einen Seite Familien zu behandeln, ohne den entsprechenden Rückhalt durch ein Team zu haben, und gleichzeitig sich dafür ständig rechtfertigen zu müssen.
4. Ein Therapeut lehnt es ab, ganze Familien zu sehen. Dieser Fall ist häufiger, als man erwarten mag. Zahlreiche Therapeuten haben eine Scheu davor, ganze Familien einzubestellen. In ihrer Ausbildung auf die Zweiersituation eingespielt, erscheint ihnen die ungewohnte Vielfalt der Personen unübersichtlich und beängstigend. Zu Recht befürchten sie, in das »Spiel« der Familie mit einbezogen zu werden. Besonders für Therapeuten, die am Anfang der systemischen Orientierung stehen, ist der individuelle Ansatz daher oft leichter zu praktizieren als der Umgang mit ganzen Familien. Auch Therapeuten, die viel Erfahrung in der Einzeltherapie haben, wird so der Übergang zu einer systemischen Perspektive erleichtert.
5. Ein weiterer Aspekt soll nicht unerwähnt bleiben: die Bezahlung. Familientherapie ist keine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland. Für Therapeuten und Patienten bedeutet das daher immer besondere Abmachungen
über das Honorar. Besonders niedergelassene Therapeuten scheuen sich deswegen vor Familientherapien, da sie bei hohem Aufwand keine klare, adäquate Bezahlung garantieren.
6. Auch für viele somatisch tätige Ärzte in der niedergelassenen Praxis ist die systemische Einzeltherapie oft der nahe liegendere Schritt einer systemischen Perspektive. Ihre Patienten kommen überwiegend mit einem individuellen Krankheitsverständnis. Dies kann der Arzt nun mithilfe des systemischen Ansatzes erweitern, ohne gleich die ganze Familie einzubestellen.
Die Gegenüberstellung von systemischer Einzel- und Familientherapie zeigt vermutlich, dass sich die beiden Verfahren nicht gegenseitig ausschließen. Im Gegenteil ist die systemische Einzeltherapie oft der Vorläufer einer Familientherapie. Auch der umgekehrte Fall ist nicht selten, wo nach einer oder mehreren Familiensitzungen sich eine Einzeltherapie anschließt. Beide Formen stehen also in einer inneren Ergänzung. Es soll ein Anliegen dieses Buches sein, Mut zu machen, mit den verschiedenen Möglichkeiten kreativ umzugehen.
Die Technik der systemischen Einzeltherapie
Die systemische Einzeltherapie enthält verschiedene Bestandteile, die ich im folgenden Kapitel darstellen möchte. Vieles wird dem Leser schon vertraut erscheinen, da es bereits erwähnt wurde. Ich riskiere jedoch gerne eine Wiederholung, da die neue Sichtweise anfänglich verwirrend ist und erst durch die mehrfache Erwähnung einprägsam wird. Die wesentlichen Elemente der systemischen Einzeltherapie sind: die
besondere Epistemologie, das andere Setting, die Betonung des Rahmens, in dem die Therapie stattfindet, die Fragetechnik und die speziellen Interventionen.
Über die Epistemologie der systemischen Therapie wurde ebenfalls bereits gesprochen (siehe Mailänder Modell, Seite 41 ff.). Statt nun das Gesagte nochmals durch theoretische Überlegungen zu vertiefen, möchte ich die systemische Perspektive lieber in Beispielen deutlich werden lassen. Ich hoffe, so dem Leser einen Eindruck von der
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