Familientherapie ohne Familie
Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Problem richten sollen. Unvermeidlich wird dadurch der Eindruck riskiert, alle Probleme seien auf elegante, mühelose Weise zu lösen, wenn man nur den richtigen Zugriff fände. Auch wenn die systemische Perspektive überraschend einfache Lösungen für verzwickte Probleme anbietet, so sind selbstverständlich auch hier die Behandlungen von Schwierigkeiten begleitet, die den Therapeuten manchmal tief aufseufzen lassen.
Deswegen will ich mich als Erstes mit der Frage beschäftigen, wann die systemische Einzeltherapie nicht indiziert ist, sondern andere Verfahren.
Die systemische Therapie ist eine vergleichsweise stark kognitive Therapie. Sie richtet sich an einen aufnahmebereiten, wachen Patienten. Das bedeutet nicht, einen intellektuellen Patienten. Eine bestimmte Schulbildung ist keine Voraussetzung, allerdings werden sehr einfach strukturierte Patienten mit hypothetischen Fragen leicht überfordert sein.
Die dargestellte Therapie versteht sich als Kurz therapie. Damit soll selbstverständlich nicht infrage gestellt werden, dass in manchen Fällen langfristige Therapien indiziert sind. Hierfür gibt es eine Reihe von anderen Therapieverfahren. 1
Vielleicht wird dem Leser das dargestellte Verfahren in Teilen rational und distanziert erscheinen. Dieser Eindruck mag entstehen, weil ich hier nur die Struktur des Ansatzes darstellen kann. Es fehlt die individuelle Gestaltung, die jeder Therapeut seinen Behandlungen gibt. Dazu gehört selbstverständlich der direkte emotionale Bezug, ohne den Therapie schlechterdings nicht möglich ist. Persönliche Wärme, Anteilnahme und – in gewissen Situationen – Humor lassen eine
Therapie erst lebendig werden. Dieser Anteil ist aber nur sehr schwer zu schildern und gar nicht zu lehren. Er entwickelt sich erst im Laufe der zunehmenden Erfahrung und nicht zuletzt mit der zunehmenden Kenntnis der eigenen Person.
Spezielle Aufmerksamkeit möchte ich nun der Abgrenzung von systemischer Familien- und systemischer Einzeltherapie schenken.
Systemische Einzeltherapie oder systemische Familientherapie?
In der Anfangszeit des Verfahrens erschien die systemische Einzel therapie nur in Ausnahmefällen indiziert. Mittlerweile ist sie in den Kreis der »respektablen« systemischen Verfahren aufgenommen worden. 2 Viele Therapeuten arbeiten ausschließlich mit systemischer Einzeltherapie. In einigen Fällen erscheint eine Familientherapie mit einer Präsenz der tatsächlichen Familie günstiger:
1. In Familien, in denen die Familienmitglieder so eng in das entsprechende Symptom involviert sind, dass eine schnelle Entlastung des Indexpatienten erreicht werden muss. Beispielsweise wenn das Problem eine Anorexia nervosa (Magersucht) ist, wird eher eine Familientherapie infrage kommen.
2. Falls nicht nur ein Indexpatient vorhanden ist, sondern zahlreiche Familienmitglieder mehr oder weniger offenkundige Beschwerden haben.
3. In Fällen, in denen ein einzeltherapeutischer Ansatz vorher gescheitert ist, wird sich der Therapeut überlegen, ob die reale Anwesenheit der Familie günstiger ist.
4. Ebenso bei Patienten, die sich nur äußerst schwer die Reaktionen anderer Familienmitglieder vorstellen können.
5. Sehr »ich-schwache« Patienten können durch viele zirkuläre Fragen verwirrt werden. Bei ihnen erschüttern solche Fragen leicht die dünne Wand der Abgrenzung zwischen dem Ich und der Außenwelt. 3
6. Auch Kinder werden sicher nur in Ausnahmefällen mit systemischer Einzeltherapie behandelt werden können. In der Regel wird man zumindest einen Elternteil (wenn auch nur vorübergehend) in die Behandlung mit einbeziehen. Die beiden letzten Einschränkungen beziehen sich vor allem auf den Anteil des zirkulären Fragens. Andere Elemente (zum Beispiel der ressourcenorientierte Ansatz) können mit Gewinn auch hier eingesetzt werden. Generell gilt aber, dass paradoxe Techniken bei sogenannten ich-schwachen Patienten eher sehr zurückhaltend eingesetzt werden sollen. Bei ihnen sind die ich-stärkenden Methoden, besonders das lösungsorientierte Vorgehen, indiziert. 4
7. Wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Einzeltherapie ein Paar oder eine Familie »auseinandertherapiert« wird, 5 sollte das Paar bzw. die Familie gemeinsam kommen.
8. Alle Familien, die von sich aus eine Familientherapie wünschen, wird man zumindest in der ersten Sitzung gemeinsam sehen, bis das weitere Vorgehen ersichtlich ist.
Wann ist nun eine systemische Einzeltherapie
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