Familientherapie ohne Familie
Stabilität loben, der dem Therapeuten selbst weit weniger positiv erscheinen mag. Das kann dem Außenstehenden »falsch« erscheinen, doch sind das die Fundamente, auf die jede Änderung gebaut wird. Die Bestätigung der bisherigen Lösungen schafft die Grundlage, auf der spätere Änderungen aufgebaut werden können. In diesem Teil der Intervention werden systematisch alle Ressourcen aufgezählt.
Beispielsweise sagt ein Therapeut zu einem depressiven Patienten: Ich möchte zuerst einmal hervorheben, dass dem Team und mir nicht entgangen ist, wie schwierig Ihre jetzige Situation ist. Der Tod Ihrer Großmutter hat Sie außergewöhnlich belastet. Dazu kam kurz darauf der Autounfall und nun noch die Streiterei mit Ihrem Kollegen. Kein Wunder, wenn Sie in so einer Situation heftig reagieren!
Besonders sahen wir aber, was Sie bisher von sich aus schon gelöst haben: Die ganzen Angelegenheiten mit der Beerdigung haben Sie vorzüglich gelöst, Ihren Verwandten haben Sie Trost gespendet, obwohl Sie das selbst gebraucht hätten, und schließlich ist es Ihnen gelungen, die augenblickliche Stimmung auf dem Niveau zu halten, auf dem Sie die letzten drei Monate war. Das ist sicher nicht einfach gewesen, da solche Beschwerden dazu neigen, schlimmer zu werden...
• Verhalten wird also normalisiert, indem das als normale Trauer verstanden wird, was der Patient als pathologische Depression ansieht.
• Alle positiven Ansätze werden aufgelistet.
• Aus der Symptomatik wird jeder positive Anteil hervorgehoben, auch wenn er noch so klein ist: Wenn ein Patient
drei Monate unverändert depressiv ist, so ist das insofern ein Erfolg, als es nicht schlechter geworden ist, und dazu muss er etwas beigetragen haben.
Der Effekt dieser Eingangssequenz ist eine Umdefinierung oder Umdeutung. Der Patient kommt mit Beschwerden und erwartet die Konfrontation mit seinen Schwächen und seinem Versagen. Die Situation des Erstinterviews erinnert manche Patienten an die Schulstunden, die sie in Erwartung einer schlechten Zensur verbracht haben.
Überraschenderweise bekommen sie aber kein »Mangelhaft«, sondern ein Lob über das schon Erreichte. Das entkrampft die peinliche Situation. Statt sich, wie erwartet, in der Sackgasse zu befinden, sieht sich der Patient schon halb über dem Berg.
An die erste Sequenz der Intervention können sich noch andere Formen der positiven Konnotation anschließen. Die Einzelheiten dazu werden im Kapitel »Die Interventionen« ausgeführt. Der Patient sollte zu jedem der ersten Sätze ein stilles »Ja!« sagen können (»Yes-Set« nach Milton Erickson), wodurch eine innere Abnahmebereitschaft für die folgenden komplexeren Interventionen geschaffen wird.
Nun folgt die Intervention im eigentlichen Sinn. Hier sind, je nach den oben erwähnten Voraussetzungen (Besucher, Klient, Kunde) und den besonderen Bedingungen, eine ganze Fülle von Möglichkeiten denkbar: Umdeutungen, Verhaltensverschreibungen, Symptomverschreibungen, Parabeln, Schemaverschreibungen nach der Art der Verschreibung für die erste Stunde und vieles mehr. Die Interventionen sollen später beschrieben werden.
Hier sei nur als Beispiel eine recht erfolgversprechende Intervention, wiederum für den gedachten depressiven Patienten, gegeben: Nachdem die positiven Ansätze des Verhaltens gewürdigt wurden, schloss sich eine Umdeutung der pathologischen Depression in normale Trauer an, die verständlicherweise etwas länger dauert, weil es sich eben um
eine schwierige Situation handelt und der Patient tiefer empfindet als andere.
Wie ich gesagt habe, verstehen das Team und ich Ihre jetzige Situation als Trauer um den Tod der Großmutter. Wir haben auch gesehen, wie sehr Sie dagegen ankämpfen und versuchen, anderen, und vor allem sich selbst, wieder Mut zu machen. Ihr Verhalten ist, wie wir gesehen haben, in mancher Beziehung zwar erfolgreich, in anderer aber nicht. Die Trauer über den Tod taucht immer wieder an Stellen in Ihrem Leben auf, an denen sie Sie beeinträchtigt, Sie bedrückt. Wir haben eine ganze Weile darüber nachgedacht und sind zu der vielleicht überraschenden Feststellung gekommen, dass Sie nicht zu viel, sondern in gewisser Weise zu wenig getrauert haben. Durch Ihre vielen Verpflichtungen konnten Sie sich der Trauer nie ganz hingeben, da Sie sich immer um andere Menschen gleichzeitig kümmern mussten. Wir möchten Ihnen daher empfehlen, mehr zu trauern, um es ein für allemal abzuschließen. – Nun wissen wir auch, das
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