Familientherapie ohne Familie
ich nur, wenn ich alleine bin. Ich hatte keine Zeit.«
Therapeut: »Wenn Sie statt drei Tage fünf Tage lang nicht erbrechen, was wird dann anders sein?«
Patient: »Oh, das wäre toll. Das ist eine schwierige Frage. Vielleicht müsste ich mir ziemlich viel vornehmen.«
Therapeut: »Wie sieht das in etwa aus?«
Der Patient beschreibt daraufhin die Dinge, die nach seiner gegenwärtigen Einschätzung am ehesten geeignet sind, ihm einige »gute« Tage zu garantieren.
Am Ende der Stunde gibt der Therapeut lediglich einige anerkennende Worte über die gute Kenntnis, die der Patient über seine Beschwerde habe und wie gut er sie in den letzten drei Tagen kontrolliert habe. Eine nächste Stunde wird für die folgende Woche vereinbart.
Überraschenderweise sagt der Patient die folgende Stunde ab. Er wolle nicht kommen, da er die Woche über nicht erbrochen habe. Der Therapeut beglückwünscht ihn. Der Patient vereinbart mit dem Therapeuten, er werde sich melden, sobald er wieder Probleme habe.
Nach einigen Monaten ruft der Therapeut aus Neugier beim Patienten an. Der erklärt ihm, er habe wohl noch einige Anfälle gehabt, jedoch längst nicht in der früheren Häufigkeit, so wie jetzt könne er das ganz gut tolerieren. Er werde sich melden, wenn es wieder zu einem Problem werden sollte. 13
Das sind also Fragen, die auf die Fähigkeiten eines Patienten abzielen. Letztlich geht es um die systematische Nutzung der Stärken eines Menschen. Der Therapeut kann nicht davon ausgehen, dass er diese kennt. Die Stärken eines Patienten können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein und sind schwer vorhersehbar. Die persönlichen Vorstellungen eines Therapeuten, wie die Lösung eines Problems auszusehen habe, sind oft für den Patienten untauglich. Deshalb sollte ein Therapeut Lösungsmöglichkeiten eher erfragen: »Was würde in Ihrem Leben passieren, wenn Sie das und das anders machen würden?« Auf diese Weise kann der Therapeut auch eigene Vorstellungen von denkbaren Lösungen auf neutrale
Weise vorbringen. Er kann so eine Anregung zum Nachdenken geben, ohne sich festzulegen, er wisse den richtigen Lösungsweg.
Die Orientierung an den Ressourcen eines Patienten erzeugt – wie bereits erwähnt – leicht ein häufiges Missverständnis. Es mag so erscheinen, als würde der Therapeut nur am »Positiven« kleben, als würde er beständig eine optimistischstrahlende Haltung verbreiten wollen: »Ist doch alles halb so schlimm! Nur Kopf hoch, mein Lieber, das wird schon wieder werden!«
Zu Recht kann man annehmen, dass solch eine Haltung nur sehr selten erfolgreich sein wird. Einem depressiven Patienten erklären zu wollen, wie schön und strahlend die Welt sei, wird ihn wahrscheinlich noch tiefer in die Depression sto ßen. (»Die anderen, die leben fröhlich, ich kann mich noch nicht einmal an der Sonne und an einem Kinderlachen freuen.«)
Wenn also der Therapeut in die unangenehme Lage kommt, den Patienten von der Schönheit der Welt überzeugen zu wollen, so kann er das als ein sicheres Anzeichen werten, dass er sich auf dem Holzweg befindet. – Der Anstoß zur Veränderung muss vom Patienten kommen!
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, aus dem Dilemma herauszukommen. Die sicherste ist meines Erachtens die Methode, eine Situation dadurch aufzuheben, dass sich der Therapeut die negative Sichtweise des Patienten zu eigen macht, ja sogar noch weiter geht und eine Spur pessimistischer als der Patient erscheint.
Angenommen jedoch, der erwähnte Patient hätte keinerlei Hoffnung auf Besserung gezeigt und alle nur denkbaren Alternativen resigniert zurückgewiesen, so könnte der Therapeut sein Vorgehen wie folgt ändern.
Sie haben mir viel von Ihren Beschwerden erzählt. Sie haben ja schon wirklich viel unternommen, um davon loszukommen. Leider hat bisher nichts geholfen. Auch wir beide haben im Moment
gesehen, dass eigentlich keine rechte Hoffnung auf eine absehbare Besserung erkennbar ist. Ich dachte zwar noch eine Weile, man könne das eine oder andere vielleicht ändern. Sie haben mich aber überzeugt, dass Sie das alles schon ausprobiert haben und es letztlich nichts für Sie gebracht hat. Daher denke ich, sollten Sie die Hoffnung auf eine Besserung aufgeben, und wir sollten gemeinsam ein neues Ziel setzen. Es könnte zum Beispiel darin bestehen, wie Sie sich am besten mit den Beschwerden in den kommenden Jahren arrangieren können. Solche Beschwerden können ja über Jahre oder Jahrzehnte andauern, da ist es
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