Familientherapie ohne Familie
sie formulieren. Wenn der Therapeut an einer passenden Stelle eine gewisse Leichtigkeit in den Tonfall oder in eine Redewendung hineinbringt, wird der Patient sich sehr entlastet fühlen, denn der Therapeut hält offenbar die geschilderte Situation nicht für so tragisch und beschämend. Je nach persönlicher Vorliebe können ganz unterschiedliche Elemente dazu benutzt werden: Pointierungen, Übertreibungen, kleine Anekdoten, witzige Formulierungen oder positive Umdeutungen können in bestimmten Situationen geeignet sein, zu entschärfen und eine freundliche Distanz zu schaffen.
Eine Mutter klagt in einer Therapie, dass der Ehemann und die Kinder beständig die schlechte Laune an ihr auslassen würden. Sie aber fühle sich unfähig zur Gegenwehr. Der Therapeut greift dies auf und sagt etwa: »Sie scheinen mir ja beinahe der ›punching ball‹ der Familie zu sein. Wenn jemand sich geladen fühlt, geht er bei Ihnen vorbei und – bumm! - haut er mal kurz zu. Schon geht es dem Betreffenden wieder gut!«
Oder ein Familienvater schildert folgende missliche Lage: Sein halbwüchsiger Sohn sei frech, folge der Mutter nicht, stelle alle möglichen Streiche an, und seine Frau sei in seiner Abwesenheit völlig hilflos. Er aber müsse sich dann abends all die Missetaten anhören, während seine Frau tagsüber weiterhin dem Sohn gegenüber eine Seele von Mensch bleibe. In einem ersten Schritt kann der Therapeut den Sohn dann als »Zorro, den Schrecklichen« bezeichnen und die Frau als »Ihren sanften Engel« etikettieren.
Bei allen Umformulierungen muss selbstverständlich mit Feingefühl die Grenze zwischen Humor und Zynismus beachtet werden. Der Witz darf nie auf Kosten des Patienten gehen. Therapeut und Patient sollten, bildhaft gesprochen, Seite an Seite amüsiert einen bestimmten Aspekt betrachten. 11
Es gibt viele Gelegenheiten, solche Umformulierungen zu benutzen. Ganz allgemein kann sich ein Therapeut unbeschadet an die Regel halten, möglichst keine negativen Formulierungen eines Patienten über sich oder das Symptom zu übernehmen. Symptome sind – das habe ich bereits mehrfach betont – Ausdruck einer Konfliktlage und einer meistens optimalen Anpassungsleistung. Deshalb sind abwertende Begriffe nicht angebracht. Hinzu kommt noch eine weitere Besonderheit. Es ist für die menschliche Natur wesentlich einfacher, ein Verhalten aufzugeben, wenn der unbewussten Anpassungsleistung Reverenz erwiesen wurde, die in diesen Symptomen enthalten ist. Im anderen Fall leistet ein Patient oft einer Veränderung anhaltenden Widerstand, da diesen positiven Funktionen eines Symptoms nicht entsprochen wurde.
Eine Patientin klagt: »Ich benehme mich total unmöglich! Ich heule bei den unmöglichsten Gelegenheiten. Total ohne Grund! Kein Wunder, dass die anderen denken, ich spinne!«
Therapeut: »Seit wann sind Sie denn so außergewöhnlich empfindsam?«
Patientin: »Seit dem Tod meiner Mutter vor einem Dreivierteljahr. Damals hatte ich einen Nervenzusammenbruch, habe geheult und um mich geschlagen.«
Therapeut: »Das hat Sie offenbar sehr getroffen. Wie haben Sie denn aus dieser schwierigen Lage wieder herausgefunden?«
Der Therapeut bleibt also im Gespräch erst einmal in der Formulierung neutral. Er weiß nicht, wie der »Nervenzusammenbruch« oder das »Spinnen« zu bewerten sind und vermeidet die negative Konnotation, die dem Denken des Therapeuten unmerklich die Epistemologie des Patienten aufdrängt. Bei positiven Umdeutungen vermeide ich jedoch allzu große Eingriffe. Während des Gespräches ist ein Patient oft mit einer positiven Symptombewertung überfordert. Er wird nicht verstehen, warum ich das Symptom unter diesen Umständen für sinnvoll und notwendig erachte. Sehr viel wirkungsvoller sind solche Interventionen am Ende der Stunde, wo sie mit einer ganz anderen Betonung und stichhaltigen Begründung gegeben werden können. Der Therapeut sollte seine Interpretationen nicht am falschen Ort verpuffen lassen.
Im Verlauf eines Interviews wird naturgemäß die Beschreibung der Beschwerden am Anfang stehen. Damit kommt der Patient, das ist sein Anliegen. Für den Verlauf der Behandlung ist die genaue Kenntnis der Beschwerden von Vorteil, allerdings weit weniger, als üblicherweise angenommen wird. Steve de Shazer war sogar der Auffassung, man könne auf die Kenntnis der Beschwerden ganz verzichten, wenn man nur genügend über die denkbaren Lösungen weiß. 12 Mit dieser provokativen Formulierung wird
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