Familientherapie ohne Familie
für den Überweiser, wenn die Behandlung hier erfolgreich verliefe?«
Daran kann sich auch die Frage anschließen:
»Noch einmal zurück zu uns. Sie haben bereits einige Erfahrung mit Psychotherapeuten gesammelt. Wie müsste ich mich nach Ihrer Meinung verhalten, um eine Behandlung hier zu einem schnellen und kompletten Misserfolg werden zu lassen?«
So kann auf humorvolle Weise Bedenken von sehr skeptischen Patienten vorgegriffen werden.
In ähnlicher Weise kann auch auf die aktuelle Beziehung zwischen Patient und Therapeut eingegangen werden:
»Wenn jetzt die nächste halbe Stunde genauso verlaufen würde wie der Anfang der Stunde, was werden Sie dann wohl denken, wenn Sie wieder zu Hause sind?« 9
Die Frage- und Interviewtechnik
Interviewtechniken sind in erster Linie nicht gut oder schlecht gewählt, sondern stets ein Ausdruck des dahinterstehenden Konzeptes. 10 Je nach Denkmodell wird ein Therapeut andere Fragen stellen und demzufolge ein anderes Bild von der Realität erhalten. Dieser Sachverhalt trifft selbstverständlich auch für andere Gebiete zu: Ein Kardiologe wird bei der Anamneseerhebung sicher andere Fragen stellen als ein Gynäkologe oder HNO-Arzt. Dennoch beschäftigen sich alle mit dem Gesundheitszustand eines Patienten und werden überzeugt sein, ein gültiges Bild darüber zu erhalten.
Auch in diesem therapeutischen Ansatz sind die Fragen durch die Theorie geleitet. Das bedeutet in erster Linie, dass sich die vorgestellte Technik nicht auf die Psychogenese (also beispielsweise die Kindheit) bezieht, sondern im Wesentlichen auf die Verknüpfung von Symptomatik und aktuellem
Beziehungsgeflecht. Weiterhin wird sehr viel mehr Wert auf potenzielle Lösungsmöglichkeiten gelegt, als dies in anderen Konzepten der Fall ist. Die zahlreichen Fragen, die jetzt dargestellt werden, sind also nur auf dem Boden der theoretischen Annahmen verständlich, die bereits in den vorherigen Kapiteln dargestellt wurden. Es gilt allerdings auch ein umgekehrter Zusammenhang: Die Theorie wird durch die Fragetechnik sehr viel klarer als durch eine intellektuelle Beschreibung.
Verkürzt und vereinfacht verfolgt der Therapeut in der systemischen Einzeltherapie zwei Gedanken:
1. Wie ist das Symptom in seiner Einbindung in die aktuellen Beziehungen des Patienten zu verstehen? Welchen Stellenwert hat es dort? Warum tritt es gerade jetzt auf? Welche Funktion nimmt es ein?
2. Wo liegen die Ressourcen des Patienten? Welche Fähigkeiten führen ihn aus der Problematik heraus? Dabei geht der Therapeut davon aus, dass der Patient selbst den Schlüssel zur Lösung hat, der Therapeut muss allerdings beim Suchen helfen.
Zwischen diesen beiden Eckpfeilern entwickelt sich das Interview. Der Therapeut wird zwischen ihnen hin und her wechseln. Einmal wird er mehr die Struktur der Beschwerden in ihrer Eingebundenheit in die jeweilige Familie untersuchen, dann wieder wird er die Betonung auf die Fähigkeiten des Patienten legen und herausarbeiten, wie dieser erkennbare Lösungen realisieren kann. Wo der jeweilige Schwerpunkt liegt, wird von der Persönlichkeit des Therapeuten und seinen Interessen abhängen. In Milwaukee wurde der Schwerpunkt mehr auf die Herausarbeitung der Ressourcen gelegt, während »die Mailänder« eher die Struktur der Beschwerden betonten. Jeder Therapeut muss hier seinen eigenen Stil entwickeln.
Zum Stil möchte ich noch eine weitere Anmerkung machen: Psychotherapeutische Gespräche zeichnen sich immer
durch eine spezifische Gesprächsatmosphäre aus. Das bedeutet in Deutschland meist eine dunkle, bedeutsame, gravitätische Schwere. Patienten und Therapeuten stimmen oft überein, dass die Probleme ungeheuer ernst sind – und dementsprechend langer Behandlung bedürfen. Sicherlich muss die Atmosphäre, in der ein Gespräch stattfindet, der Thematik angepasst sein. Wenn ein Patient von einem erschütternden Schicksal erzählt, wird sich jeder nur einigermaßen empfindsame Psychotherapeut darauf innerlich einstellen und dabei betroffen mitempfinden. Oft aber bietet sich im Gespräch die Gelegenheit, Humor ins Spiel zu bringen. Humor ist eine Form der freundlichen Distanzierung von einem Problem. Wenn es einem Patienten gelingt, ein wenig über sich selbst zu lächeln, dann ist die Lösung des Problems deutlich nähergerückt. Dabei kann der Therapeut helfen. Ein Mensch, der zu einem berufsmäßigen Helfer kommt, ist oft hilflos und beschämt, seine Probleme darzustellen. Mit Beklommenheit und Ernst wird er
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