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Familientherapie ohne Familie

Titel: Familientherapie ohne Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Weiss
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Angehörigen oder Ärzten beobachten. Je mehr sich die Umgebung bemüht, einen Patienten zu überzeugen, desto mehr verharrt er in seiner Überzeugung, ja desto klarer werden für ihn die unlauteren Absichten seiner Mitmenschen. Es ist eine Kommunikationsfalle, aus der schwer zu entrinnen ist. Wenn jemand einmal beschuldigt wurde, seine Großmutter heimtückisch mit Gift ermordet zu haben, so wird gerade die laute und ständige Beteuerung, er habe noch nie Gift angerührt und seine Großmutter auch keineswegs ermordet, einen Verdacht zurücklassen. Falls der Beschuldigte sich dann weiter gegen die Verdächtigungen wehrt, kann er leicht durch die Dementis den Verdacht verstärken, den er eigentlich entkräften wollte. Die Dynamik aus Dementis und Verdächtigungen verändert das Verhalten des Verdächtigten, was wiederum als Bestätigung der Verdachtsmomente gewertet werden kann – ein Teufelskreis!
    Die oft bestätigte Erfahrung über die schwierige Behandlung von paranoiden Patienten, die jahrelang an ihrem Wahn festhalten, hat eine Wurzel in diesem Teufelskreis. Der Therapeut ist, ohne es zu wissen, eingebunden in das System des Patienten und bestätigt es, indem er es bekämpft.
    Eine andere Vorgehensweise schilderte Blankenburg 27 in einem Vortrag: Ein hypochondrischer Patient war überzeugt, an einer schweren Krankheit zu leiden. Er fühlte sich dadurch in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt und demonstrierte sein Leid auch deutlich seiner Umgebung gegenüber. Nachdem die organischen Ursachen abgeklärt waren, versuchte man den Patienten davon zu überzeugen, dass er »nichts habe«. Wie leicht vorstellbar, mit wenig Erfolg. Es wurde versucht, ihn zu aktivieren, aus dem Bett zu ziehen – alles blieb ohne Wirkung.
    Blankenburg praktizierte daraufhin auf seiner Station den umgekehrten Ansatz. Er akzeptierte die Sichtweise des
Kranken und verschrieb ihm strikte Bettruhe. Krankenschwestern pflegten ihn wie einen Schwerkranken, mit allen Ritualen, die in einem Krankenhaus üblich sind. Wie nicht anders zu erwarten, genoss der Patient die ihm zukommende Pflege nur kurze Zeit. Danach drängte er aus dem Bett. Die Krankenhausärzte verblieben aber in der skeptischen Position, wollten nicht an die schnelle Genesung glauben und ließen sich nur mühsam zu kleinen Zugeständnissen bewegen. Falls die Beschwerden wieder schlimmer würden, so müsse er unbedingt wieder strikte Bettruhe einhalten... Auf diese Weise wurde der Patient »gezwungen«, die gesunden Anteile nach außen zu tragen, die anderen von seiner Genesung zu überzeugen, während er zuvor die Umgebung von seiner Krankheit überzeugen musste. Ermöglicht wurde der Wandel, da der Patient den Krankheitsanteil bei den Ärzten aufgehoben wusste. Jetzt wurde er in die Lage versetzt, seine eigenen gesunden Anteile wahrzunehmen, die er zuvor ausgeblendet hatte.
    Noch ein Fallbeispiel von demselben Autor: Er berichtete von einem Mann mit einer Schizophrenie, der seit langer Zeit in seiner Behandlung stand. Eines Tages spürte der Patient, es könne ein neuer Schub kommen. Im Gespräch entschlossen sich Arzt und Patient, der Patient solle den Schub nur spielen und seiner Umgebung vorspiegeln, er sei wieder erkrankt. Der Erfolg gab den Überlegungen recht. Nach kurzer Zeit war von einem drohenden Rückfall nicht mehr die Rede. Das Spiel hatte eine Double-bind-Situation geschaffen, die den ursprünglich befürchteten Ablauf des Verhaltens unmöglich machte.
    In ganz ähnlicher Weise lässt sich dieses Vorgehen in einer Vielzahl von Situationen anwenden: Bei einem chronisch streitenden Ehepaar kann der Therapeut die Verschreibung geben, den nächsten Streit genauso zu machen wie bisher. Nur solle der stets belehrende Mann bei seinen Vorhaltungen auf einen Stuhl steigen, während die Ehefrau, die unter ihrer Unterlegenheit litt, vor dem Stuhl in die Knie gehen sollte. Ein Setting,
das einen Streit leicht in Heiterkeit auflöst. Solche und ähnliche Techniken müssen natürlich zum entsprechenden Patienten passen. Dieses letzte Beispiel ist sicherlich in den USA leichter anzuwenden als irgendwo im Schwabenland.
Die offene Verschreibung
    Die Technik, Patienten in die Behandlung zu integrieren, kann gerade in der systemischen Einzeltherapie äußerst erfolgreich sein. Dabei kommen besonders solche Patienten infrage, bei denen weniger sie selbst ihr Verhalten ändern sollen als andere Personen, mit denen sie zusammenleben und die aus bestimmten Gründen nicht kommen

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