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Familientherapie ohne Familie

Titel: Familientherapie ohne Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Weiss
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äußerster Verlegenheit bei der nächsten Gelegenheit alleine zu gestehen, dass es ihr sehr schwer zu sagen falle, aber sein Verhalten würde sie ungeheuer erregen. Es müsse wohl irgendwie mit ihrem Vater zusammenhängen. Mit diesen Worten solle sie fluchtartig das Büro verlassen.
    Die Verhaltensempfehlung, die hier gegeben wurde, ist in Bezug auf die Patientin selbst nicht »paradox«. Es ist vielmehr die Aufforderung an die Patientin, eine bewusst unterlegene Position einzunehmen, auf die Weise aus dem Machtkampf auszusteigen und letztendlich dennoch die Kontrolle zu behalten.
Das Eingeständnis der Hilflosigkeit
    Manche Patienten sind bei Psychotherapeuten gefürchtet. Beispielsweise die entwertenden Patienten, die mit freundlicher, fast unterwürfiger Stimme immer wieder sagen: »Ich habe genau das gemacht, Herr Doktor, was Sie mir gesagt haben. Es hat aber leider nicht geholfen. Die Beschwerden sind immer noch da.« Wenn solche Patienten dann auch noch häufig von Arzt zu Arzt oder von Therapeut zu Therapeut wandern, ohne dass ihnen geholfen wird, spricht man gerne von einem »doctor-shopping«-Syndrom oder von Koryphäen-Killern (»Ich war auch schon bei Herrn Prof. Dr. Müller, den kennen Sie doch...«). Wenn also schon vieles versucht wurde und nichts geholfen hat, so liegt die Vermutung nahe, dass die
Beschwerden so hartnäckig sind, weil sie in einem Machtkampf als Munition dienen. Je mehr der Therapeut sich bemüht, desto weniger zeichnet sich ein Erfolg ab.
    Im medizinischen Bereich findet man solche verdeckten Machtkämpfe häufig. Anfänglich präsentiert der Patient ein harmloses Symptom, das jedoch eine bestimmte Funktion in seinem Leben einnimmt und auf das er nicht ohne Weiteres verzichten kann. Der Arzt verschreibt sein gewohntes Präparat. Der Patient kommt wieder und berichtet, es habe nicht gewirkt. Der Arzt ist überrascht und verschreibt ein stärkeres Medikament. Das »Spiel« geht noch einige Male hin und her. Jedes Mal dehnt der Arzt seine Maßnahmen aus, auf die der Patient nicht reagiert. Mittlerweile ist das Klima zwischen beiden belastet. In solchen Fällen wechselt entweder der Patient die Praxis oder der Arzt entscheidet sich zu einer Radikalkur: »Jetzt wird operiert!« oder »Der muss zum Psychiater!« Viele sogenannte Operationskranke sind Täter und Opfer solch einer gegenseitigen Eskalation.
    Der Machtkampf basiert also darauf, dass beide nach der Kontrolle des Verhaltens streben, wenn auch mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Dabei, das sei betont, verlaufen diese Prozesse unbewusst. Beiden ist der Machtkampf verborgen. Erkennbar ist er höchstens in der emotionalen Beteiligung, die beide nach einer Weile entwickeln.
    Ein letzter Ausweg aus dem Machtkampf kann folgender sein: Der Therapeut gesteht ein, dass eine Änderung leider unmöglich sei, er habe wirklich alles versucht und vor ihm hätten sich ja auch schon viele andere Therapeuten erfolglos bemüht. Er habe aber nun einsehen müssen, dass trotz der Bemühungen von vielen kompetenten Menschen und trotz zahlreicher Anstrengungen des Patienten ein Wandel nicht zu erreichen sei. Eine Tatsache, die verwirrend sei, so ganz verstehe er es selbst nicht, aber die man wohl akzeptieren müsse. Er sei leider hilflos.
    Das Eingeständnis der Hilflosigkeit ist ein Versuch, den Machtkampf zu beenden. Es ergibt keinen Sinn mehr, einen
Kampf weiterzuführen, wenn sich ein Teilnehmer zurückzieht, ohne den anderen deswegen zu beschuldigen. Dadurch wird es dem Patienten auch eher möglich, den anderen Teil anzuerkennen: »Also, ganz so schlimm ist es doch nicht, manchmal ging es mir auch besser. Neulich hat mir auch das und das geholfen.«
    Der Therapeut hat nun – es kann niemand mehr überraschen – die Möglichkeit, skeptisch zu bleiben, was ihm angesichts der Erfahrung mit dem Patienten sicher nicht schwerfallen wird. Dies ist eine letzte Möglichkeit, denn wird das Eingeständnis der Hilflosigkeit zu früh gegeben, stößt man den Patienten vor den Kopf. Sie eignet sich vor allem für die beschriebenen Machtkämpfe, das heißt für Patienten, die in Opposition gehen. In der Einzelsituation mag der Therapeut sich aber auch zu einer milderen Form der Aussage entschlie ßen, bevor ein Machtkampf voll entbrannt ist.
    »Ich weiß jetzt wirklich nicht, wie das weitergehen wird. Vor so einem schwierigen Problem habe ich lange nicht gestanden.«
    »Ich weiß nicht, was ich Sie jetzt fragen soll. Was würden Sie wohl fragen, wenn Sie

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