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Familientherapie ohne Familie

Titel: Familientherapie ohne Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Weiss
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Woche vor Migräneanfällen warnen. Vermutlich werden Sie die Anfälle ›nachholen‹. Sie müssen sich deshalb auf sechs Anfälle einstellen.«
    Treten die vorhergesagten Anfälle nicht oder nicht so häufig auf, wird sich der Therapeut erklären lassen, warum das wohl nicht so war und was der Patient dazu beigetragen hat. Wenn jedoch die Anfälle tatsächlich in der beschriebenen Frequenz aufgetreten sind, hat sie der Therapeut zumindest richtig vorausgesagt und kann dann wie folgt fortfahren:
    »Für eine Veränderung, wie Sie es in der vorletzten Woche erlebt haben, ist es einfach noch zu früh. Noch sollten Sie Ihre Belastungen nicht aufgeben. Man kann zum jetzigen Zeitpunkt einfach noch nicht vorhersehen, welche negativen Folgen eine Veränderung mit sich bringen kann.«
    Der Therapeut folgt also allen Entwicklungen des Patienten und vermeidet jede Kritik. Bei Fortschritten freut er sich und verbleibt dennoch skeptisch, bei Nicht-Veränderung oder Rückschritten übernimmt er, wenn es stimmig ist, die Verantwortung. Er vermutet, dass eine Veränderung aus guten Gründen so noch nicht eingetreten ist. Im Gegenteil, eine vorschnelle Veränderung hätte vielleicht sogar negative Konsequenzen. 40
    Falls Aufgaben vom Patienten nicht so wie verschrieben erledigt worden sind, sollte man bedenken, dass auch nach den intensivsten zirkulären Fragen das Wissen um ein System in allen seinen Verästelungen in der Therapie notgedrungen begrenzt bleibt. Die Auswirkungen einer Intervention können daher nie wirklich vollständig vorhergesehen werden. Daher wirken Interventionen meist auch etwas anders, als sie intendiert waren, bzw. müssen vom Patienten variiert werden, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Eine weitere Ursache für fehlende »Mitarbeit« ist meist die Ungeduld des Therapeuten, der zu komplizierte oder zu folgenreiche Aufgaben zu früh gibt (langsam geht schneller!).
    In den meisten Fällen ist es vielleicht gar nicht so wichtig, ob der Patient die Aufgabe tatsächlich gemacht hat oder nicht. Allein deren Existenz, das Gefühl, sich mit etwas beschäftigen zu müssen, schafft eine Atmosphäre der Selbstbeobachtung, die verändernd wirkt. Falls also die Aufgaben nicht oder nur teilweise gemacht wurden, frage ich ohne jeden Vorwurf: »Was wäre anders gewesen, wenn Sie die Aufgabe gemacht hätten? Wie hätte Ihre Umgebung reagiert? Hätten Sie sich anders gefühlt?« So erhält man weiteres Wissen über das System, mit dem man es zu tun hat.
    Bei der Formulierung eines therapeutischen Vorschlags sollte jede Assoziation mit Hausaufgaben vermieden werden: »Ich hätte eine Idee, was Sie bis zum nächsten Gespräch machen können. Ich überlasse es allerdings Ihnen, ob Sie das wirklich machen möchten...«
    Eine weitere Variante der Rückfallverschreibung will ich noch einmal erwähnen.
    In manchen Fällen reicht es, wenn die Patienten den Rückfall spielen (siehe Seite 154). Dies gilt vor allem dann, wenn das Symptom starke Signalwirkung auf die Umgebung hat. Dem kommunikativen Aspekt der Symptomatik soll also unter der schützenden Distanz des Spieles entsprochen werden.
    Wenn beispielsweise ein Jugendlicher einen Rückfall in die Abhängigkeit spielt, dann werden die Eltern mit verwöhnender
Zuwendung reagieren. Sowohl das Kind als auch die Eltern können dieses Bedürfnis nach gegenseitiger Nähe befriedigen. Da es aber eben nur ein Spiel ist, entsteht für den Jugendlichen keine Niederlage daraus. Er ist nicht wieder »schwach« geworden, sondern er hat es eben nur »gespielt«. So ein Spiel kann durchaus offen allen Beteiligten erklärt werden, sofern eine stichhaltige Begründung gegeben wird.

ANWENDUNG:
    DAS SYSTEMISCHE VERSTÄNDNIS DES ÜBERGEWICHTS ODER VON DER LUST DER LAST
    Eine 32-jährige Patientin, Marianne G., befand sich seit längerer Zeit wegen verschiedenartiger Probleme in meiner Behandlung. Vor allem jedoch hatte sie Schwierigkeiten, eine längerfristige Beziehung zu einem Mann aufzunehmen. In einer Sitzung sagte sie mir, sie wolle einmal über ihr Gewicht sprechen. Sie habe schon seit Jahren das Gefühl, viel zu viel zu wiegen, aber alle Abmagerungskuren seien erfolglos geblieben. Letztendlich esse sie wohl zu viel und zu gerne. Da
ich Marianne schon lange kannte, war mir folgender Hintergrund vertraut: Sie war das älteste von sechs Kindern, musste früh im Haushalt mitarbeiten und die kleineren Geschwister mitversorgen. Ein Erlebnis, erzählte sie mir, erschien ihr stellvertretend

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