Familientherapie ohne Familie
zu können, was »ausgezeichnet«, was noch »durchschnittlich« und was »schlecht« war.
Nach einiger Zeit der Behandlung ging es Eva so gut, dass sie angstfrei ihr Studium erneut aufnehmen konnte. Als jedoch das Examen nahte, überkamen sie die alten Ängste. Der Therapeut
arbeitete aus diesem Grund in seiner Intervention folgenden Zusammenhang heraus:
»In der vergangenen Zeit haben Sie alle Prüfungen stets mit den besten Noten bestanden. Das ist auf der einen Seite ein hervorragendes Ergebnis. Auf der anderen Seite ist damit ein nicht zu unterschätzendes Problem verbunden. Durch die hervorragenden Noten haben Sie keinerlei Gefühl dafür entwickeln können, was eigentlich realistische Anforderungen von Prüfungen sind. Sie haben somit keine Kontrolle über Ihre Leistung, da Ihnen die Abstufungsmöglichkeiten fehlen. Erst dadurch gewinnt man Kontrolle über eine Situation, indem man die unterschiedlichen Auswirkungen, die verschiedenen eigenen Handlungsmöglichkeiten austestet. Zwar werden Sie nach menschlichem Ermessen das Examen wieder mit sehr guten Noten bestehen, doch haben Sie eigentlich dabei nichts gewonnen. Eine Lösung Ihrer Ängste wird sich erst dann abzeichnen, wenn Sie mehr Kontrolle über Ihre Handlungsmöglichkeiten haben. Meiner Meinung nach ist das kommende Examen nur dann ein Erfolg, wenn Sie sich um ein abgestuftes Ergebnis bemühen. Ich schlage vor, dass Sie in einem der Fächer ein sehr gutes Ergebnis erzielen, in einem ein ziemlich gutes, in einem weiteren ein gerade durchschnittliches und in einem Fach sollten Sie richtig versagen. (Dadurch würde Eva nicht durchfallen.) Dazu müssen Sie also bewusst in einigen Fächern Fehler einstreuen, was sicherlich für Sie eine außergewöhnliche Herausforderung ist. Ich bin mir nicht sicher, ob Sie der Aufgabe gewachsen sind!«
In der nächsten Stunde erzählte Eva mit Belustigung von dem Examen, das ohne Schwierigkeiten abgelaufen sei. Auch habe Sie bewusst »dumme« Antworten gegeben. Zu ihrer maßlosen Überraschung habe dies der Professor nicht einmal bemerkt, was sie erst erheitert habe, später jedoch nachdenklich werden ließ.
Zum Thema »Lernen« möchte ich gerne etwas hinzufügen, was die Bezeichnung »Intervention« kaum verdient. Es gibt aber kleinere Probleme, die keine komplizierten Lösungen verlangen.
Die meisten Schüler und Studenten lernen nach dem Motto: Je mehr, desto besser! Eine Aussage, die psychologisch
gesehen höchstens antiquarischen Wert besitzt. Wesentlich erfolgversprechender ist eine Einstellung, die dem Lernen eine Obergrenze setzt: Ich lerne höchstens fünf Stunden am Tag! Mit dieser kleinen Änderung ändert sich das Lernverhalten. Ohne zeitliche Begrenzung dösen Studenten oft ungezählte Minuten gedankenverloren vor sich hin, oder sie pendeln zwischen Kühlschrank und Schreibtisch hin und her, während die Zeit nicht fortschreiten will.
Beim Setzen von zeitlichen Obergrenzen besteht dagegen eher die Befürchtung, nicht alles in der festgesetzten Zeit (beispielsweise fünf Stunden) unterzubringen, bevor die Lernperiode schon wieder abgelaufen ist.
Nach dieser Zeit am Schreibtisch ist der Student frei, ohne Schuldgefühle Dinge zu unternehmen, die ihm Abwechslung bringen und ihn dadurch wieder aufnahmebereit für den nächsten Tag werden lassen.
Über den Umgang mit der folgenden Stunde
Interventionen sind nicht abgeschlossen, nachdem sie gegeben wurden (Motto: hit and run) . Viel hängt davon ab, wie man in der nächsten Stunde mit der Reaktion des Patienten auf die Intervention umgeht. Es lassen sich dazu Regeln aufstellen, die dem Ungeübten Enttäuschungen ersparen.
Wenn also eine spezifische Intervention gegeben wurde, so sollte der Therapeut zu Beginn der folgenden Stunde nach dem möglichen Ergebnis fragen.
»Ich habe Sie die letzte Stunde gebeten, einmal die Momente am Tag zu notieren, in denen Sie sich ausgesprochen wohlgefühlt haben. Wie war das in der vergangenen Woche? Was für positive Momente haben Sie erlebt?«
Viele Patienten führen zwar aus, was ihnen aufgetragen wurde, sprechen es aber von sich aus nicht spontan an. Um eine Verschreibung korrekt ansprechen zu können, sollte der Therapeut sich die Verschreibung notiert haben. Selbst wenn
er sich sonst nichts aus der Stunde aufgeschrieben hat, ist die Lektüre der Verschreibung meist behilflich, ein zuverlässiges Bild der Stunde zu bekommen, da in ihr nochmals das Wichtigste der Stunde verdichtet dargestellt ist.
Falls ein
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