Familientherapie ohne Familie
Patient die Aufgabe nicht durchgeführt hat, so wird der Therapeut kurz nachfragen, ohne aber auf einer Antwort zu bestehen. 39 Meist berichtet der Patient auch da von einigen guten und einigen schlechten Dingen. Wie schon früher ausgeführt, arbeitet der Therapeut dann erneut die genauen Bedingungen der »guten« Momente heraus, um die eigenen Anteile des Patienten an der Besserung zu verdeutlichen.
Patient: »Die Woche war schrecklich. Ich habe zwar darauf geachtet, was besser war, aber da war eigentlich nichts.« Das ist eine Situation, die einen Therapeuten verzweifeln lässt, der sich von einer Intervention viel erhofft hat. Er sollte dann aber nachfragen.
Therapeut: »Es war also durchgehend schlecht?«
Patient: »Ja, fast durchgehend.«
Therapeut: »Wieso fast?«
Patient: »Ja, am Samstag, da ging es etwas besser, aber auch nicht sehr lange.«
Therapeut: »Erzählen Sie mir, was da anders war.«
Das Prinzip bleibt also das Gleiche. Die Ausnahmen sollen nutzbar gemacht werden. Auch wenn die Fortschritte nur klein sind, so können sie doch Hinweise für die Möglichkeiten eines Patienten sein, wie er sich selbst aus einer schwierigen Lage befreien kann. Jede Ausnahme sollte daher auf ihre Ver änderungspotenz untersucht werden. Wenn Patienten nun über erfreuliche Veränderungen berichten, so lässt der Therapeut den Erfolg stets beim Patienten. Der Patient ist für die Besserung der Depression verantwortlich und nicht der Therapeut mit seiner klugen Therapie. So trägt der Therapeut zu der Autonomie bei. Er wird vielleicht neugierig fragen:
»Die Veränderung ist aber sehr erfreulich. Wie haben Sie das denn gemacht? Nach dem, was Sie mir in der letzten
Stunde erzählt haben, bin ich ganz überrascht, wie das so gut gegangen ist.«
Umgekehrt kann der Therapeut Verantwortung für Misserfolge übernehmen:
»Das habe ich offenbar das letzte Mal nicht richtig eingeschätzt. Eine so kurzfristige Veränderung wäre sicher nicht günstig gewesen...«
Eine weitere Möglichkeit, mit Erfolgen umzugehen, ist die Warnung vor dem Rückschlag. In vielen Fällen ist der Erfolg ja zu Beginn keineswegs sicher, und sowohl Patient als auch Arzt fürchten sich vor einem möglichen Rückschlag. Um dem Rückschlag seinen bedrohlichen Charakter zu nehmen, kann man in dieser Situation auf verschiedene Art vorgehen.
Wenn etwa ein Jugendlicher stolz von den ersten Ablösungsschritten erzählt, so wird der Therapeut wissen, dass es auch wieder andere Zeiten geben wird, in denen der jugendliche Patient gelähmt zu Hause sitzt und mit seiner gewonnenen Autonomie nicht mehr zurechtkommt. In solchen Fällen kann der Therapeut den Rückschlag voraussehen und ihm dadurch einen Teil des entmutigenden Charakters nehmen. So werden erneut die autonomen Kräfte gestärkt.
»Sie haben in der letzten Woche wirklich große Fortschritte in Richtung auf ein eigenes, selbstständiges Leben erzielt. Nun ist es aber so, dass Sie nicht nur eine ›progressive‹ Seite haben. Wie alle Menschen haben auch Sie eine ›konservative‹ Seite. Es gibt in Ihnen eben auch den Wunsch, die Verbindung zu den Eltern fest und dauernd aufrechtzuerhalten und beispielsweise noch nicht auszuziehen. Gerade in der Anfangszeit der Ablösung sind die meisten Jugendlichen nach meiner Erfahrung hin und her gerissen, was sie eigentlich möchten. Ich vermute deswegen, dass aus Gründen der Ausgewogenheit in der nächsten Woche – wenigstens für einige Momente – diese Seite zu ihrem Recht kommen wird. Ich möchte Sie deshalb vor Folgendem warnen: In der nächsten Woche werden Sie – auch wenn das für Sie jetzt nicht vorstellbar ist – an Ihren jetzigen Entschlüssen zweifeln und überlegen,
ob es nicht besser ist, für die nächsten Jahre bei den Eltern zu bleiben.«
Wenn die befürchteten Möglichkeiten so vom Therapeuten formuliert wurden, kann der Patient damit leichter umgehen. Seine Loyalitätsgefühle den Eltern gegenüber sind dann nicht mehr notwendigerweise ein Scheitern der Ablösung, sondern ein vorhersehbares Geschehen im Rahmen eines natürlichen Prozesses. Wenn ein bestimmtes Symptom nicht mehr auftritt, kann der Therapeut auch voraussagen, dass es in der kommenden Woche wahrscheinlich doppelt so oft auftreten wird.
»Ihre Migräneanfälle haben sich wirklich erstaunlich gebessert. Während Sie früher mindestens drei schwere Anfälle hatten, war es nun kein einziger. Nach all dem, was Sie mir erzählt haben, möchte ich Sie für die kommende
Weitere Kostenlose Bücher