Familientherapie ohne Familie
Intervention besteht in der Vermeidung eines frustrierenden Rituals: Der Patient berichtet über ein Problem. Der Therapeut stellt eine kurze Frage und macht dann einen Vorschlag. Der Patient lehnt ab, das habe er schon versucht, es habe nicht geholfen. Der Therapeut stellt wieder eine kurze Frage, macht einen neuen Vorschlag. Der Patient weist das erneut zurück, das habe bereits der letzte – erfolglose – Therapeut vorgeschlagen usw.
Mit Lösungsvorschlägen sollte man tunlichst sparsam umgehen!
In solchen Fällen erscheint es günstiger, vor allem Fragen zu stellen. Gedanken über mögliche Lösungen können in hypothetischer Form geäußert werden: »Gesetzt den Fall, Sie würden sich Ihrer Frau gegenüber in Zukunft so und so verhalten, was wäre dann anders?« Oder: »Wenn Sie in Zukunft sich etwas mehr Zeit für Bewegung nehmen würden, wäre das
eher ungünstig oder eher günstig für das geschilderte Problem?«
Dieser kleine Unterschied in der Formulierung macht einen großen Unterschied in der Wirkung.
• Der Therapeut schlägt nichts vor, sondern fragt lediglich nach den möglichen Auswirkungen. Er fragt selbst dann, wenn er sich sehr sicher über die Konsequenzen ist. Es ist nämlich völlig unmöglich, ein (Familien-)System ganz zu verstehen und in seinen Reaktionen vorauszuberechnen. Was auf den ersten Blick als Vorteil erscheint, mag in den Sekundäreffekten negativ sein.
• Der Patient denkt über eine Frage anders nach als über einen Vorschlag. Eine Frage gibt mehr Freiheit. Er kann sich darüber Gedanken machen, die Frage für gut oder schlecht befinden oder bestimmte Varianten anfügen.
• Der Therapeut erleidet mit einer Frage keinen Misserfolg. Er bekommt eine neue Information. Darauf kann er sich einstellen und möglicherweise eine neue hypothetische Frage entwickeln. (»Gesetzt den Fall, das, was Sie eben eingewandt haben, wäre gelöst, wäre dann mehr Bewegung eher günstig?«)
Statt also Lösungsvorschläge in kleiner Münze bereits im Gespräch auszugeben, bereiten Fragen die denkbaren Lösungen während der ersten Therapiesequenz detailliert vor. Am Ende des Gespräches ist der Therapeut – nach der Untersuchung – in der Lage, einen abgerundeten Vorschlag zu machen, der bereits sämtliche Einwände und Randbedingungen berücksichtigt. Die Akzeptanz dieses Vorschlages wird bereits durch die Gesprächsunterbrechung gefördert. Die Pause macht neugierig, was der Therapeut wohl zu sagen hat.
Gilt das Gesagte nur für systemische Einzeltherapie?
Nein, im Wesentlichen ist alles auch auf die Paar- und Familientherapie bzw. die Arbeit mit anderen Systemen übertragbar.
Dabei gelten selbstverständlich noch zusätzliche bzw. ergänzende Regeln. Die systemische Einzeltherapie ist meist ein leichterer Anfang, da es weniger Angst macht, lediglich einem Patienten gegenüberzusitzen.
Die Grenzen zwischen Einzel- und Familientherapie sind fließend: Anfänglich kommt zum Beispiel die Ehefrau in Behandlung, später bringt sie ihren Mann mit, und schließlich endet die Therapie mit einigen Sitzungen für den Mann alleine.
Kann man so auch mit weniger Gebildeten arbeiten?
Vielen Lesern werden die Fragen manchmal kompliziert vorkommen. Vor allem hypothetische oder zirkuläre Fragen setzen einen gewissen Denkaufwand voraus. Allerdings lässt sich auch mit Menschen ohne entsprechende Vorbildung hervorragend arbeiten, wenn der Therapeut auf die Wortwahl achtet. Statt im Konjunktiv zu sagen: »Gesetzt den Fall, ich würde Ihre Frau fragen, was sie zu dem Problem meinte«, wählt er besser den Indikativ: »Was meint denn Ihre Frau zu dem Problem?«
Dabei kommt der Methode eine Eigenart der Umgangssprache entgegen. Sie ist im Allgemeinen eine Sprache in Rede und Gegenrede. (»Er hat gesagt, dann habe ich gesagt, dann hat er gesagt...«) An diese Sprachgewohnheit können die Fragen anschließen.
Was mache ich, wenn die Patientin nicht so antwortet, wie ich will?
Auf zirkuläre Fragen (»Was denkt Ihr Mann, warum Sie hier sind?«) bekommt der Therapeut gelegentlich keine direkte Antwort. (»Weiß ich nicht! Ich habe meinem Mann nicht erzählt, dass ich hierher gehe!«) Solche ausweichenden Antworten können für den Therapeuten eine Herausforderung in Sachen Hartnäckigkeit sein. Dabei geht es nicht um die Befriedigung von Neugier. Es geht um die Erkenntnis, die der Patient durch seine Antwort für sich selbst gewinnt. (»Was denkt denn eigentlich mein Mann? Schätzt er das? Findet er
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