Familientherapie ohne Familie
meine Eltern, meinen Freund.«
Therapeutin: »Sie fühlen sich da sehr geborgen, in der Nähe zu den Eltern und dem Freund?«
(Positive Formulierung: Statt »brauchen« jetzt »geborgen«)
Nicole: »Ja.«
Therapeutin: »Ah, ja. Da gibt es aber auch die andere Seite, die dagegen ankämpft und denen zeigen will: Ich bin unabhängig.
Hängt das auch mit dem Essen zusammen? Da schaffen Sie es, mit den Diäten unabhängig zu sein?«
Nicole: »Ja.«
Therapeutin: »Wem steht denn der Vater emotional näher? Ihnen oder der Schwester?«
Nicole: »Früher dachte ich, er steht meiner Schwester näher. Das war auch in Ordnung. Meine Schwester, die war auch nicht so gut in der Schule, die brauchte das vielleicht. Aber heute ist das anders. Da steht er mir näher.
Ich habe jetzt auch gemeinsame Interessen mit ihm. Er fährt Motorrad und ich mache jetzt auch den Motorradführerschein.
Und da reden wir öfters drüber. Meine Schwester, die fährt nicht Motorrad.«
Therapeutin: »Wie ist das heute, sind Sie gleich stark – früher hatten Sie ja das Gefühl, stärker zu sein?«
Nicole: »Als ich schlanker war, da hatte ich das Gefühl, meine Schwester, die braucht mehr. Heute ist das nicht mehr so. Die ist jetzt viel selbstsicherer geworden.«
Therapeutin: »Brauchen Sie jetzt mehr als Ihre Schwester?« Nicole: »Ja.« (Weint)
Nicole redet dann über die Mutter. Diese führe ein sehr eintöniges Leben, da der Vater meist bei der Arbeit sei und abends noch Sport treibe. Auch sie selbst und die Schwester seien viel außerhalb des Hauses. Die Mutter habe weder Freundinnen noch ein Hobby.
Der Vater würde die Mutter kaum noch fragen, ob die Mutter ihn bei seinen Unternehmungen begleiten würde.
Danach legt die Therapeutin eine Pause ein, in der sie eine Intervention entwirft. Sie vereinbart dann einen neuen Termin mit der Patientin und teilt ihr anschließend ihre Gedanken über die erste Therapiestunde mit.
Intervention
Therapeutin: »Ich habe mir nochmals Gedanken gemacht über unser Gespräch. Mir ist aufgefallen, dass Sie viele starke Seiten haben. Beispielsweise haben Sie gute Noten, obwohl Ihnen die Schule stinkt, wie Sie sagen. Dann geben Sie der Mutter viel Kraft. Sie verhindern, dass es der Mutter langweilig wird in deren Leben und dass sie vielleicht das Gefühl bekommt, sie sei überflüssig. Da können Sie der Mutter viel geben.
Auch dem Vater geben Sie etwas. Sie vermitteln ihm: Ich bin interessiert an deinem Leben, ich teile deine Interessen, ich fahre jetzt auch Motorrad.
Bezüglich Ihres Gewichts muss ich sagen, dass viele Mädchen in Ihrem Alter denken, sie seien zu dick. Mit Ihrem Ziel – 50 Kilo – haben Sie sich ein sehr realistisches Ziel gesetzt.
Man kann sich vielleicht streiten, ob nicht 52 Kilo genauso gut sind...
Wichtiger aber scheint mir, dass Sie sich kein zu niedriges Gewichtsziel gesetzt haben. Viele Mädchen setzen sich nämlich ein zu geringes Gewicht, wo es dann Probleme beispielsweise mit der Periode gibt. Das machen Sie nicht, und das finde ich gut!
Die andere Seite ist, Sie wiegen auch keine 70 Kilo. Sie haben sich auch da in der Kontrolle. Die Essanfälle führen bei Ihnen nicht zu übermäßigen Gewichtszunahmen. Das haben Sie gut im Griff und beobachten sich sehr genau.
Jetzt wollen Sie daran etwas ändern, da Sie das Gefühl haben, zu viel über das Essen nachzudenken. Sie haben mir ja geschildert, was Sie gerne stattdessen machen möchten: Sie wollen mehr lesen, sich etwas Schönes zum Anziehen kaufen, mehr ins Schwimmbad gehen, sich nicht verstecken, sich ungezwungener fühlen, mehr zu sich selbst stehen usw. Das hat ja auch viel mit Unabhängigkeit zu tun.
Ich habe mich gefragt, warum Sie nicht in die Tat umsetzen können, was Sie sich wünschen.
An diesem Punkt bin ich mir unsicher, woran das liegen könnte. Das habe ich noch nicht ganz verstanden...
Ich weiß zum Beispiel nicht, was das für Ihren Vater und Ihre Mutter bedeuten würde, wenn Sie Ihre eigenen aktiven Seiten noch mehr entdecken würden und sich mehr von zu Hause absetzen würden. Ihre Schwester hat sich schon teilweise abgelöst, und nun auch Sie...? Ist es wirklich schon an der Zeit? Können das Ihre Eltern jetzt schon verkraften? Müssen Sie die Eltern nicht noch etwas schonen und abwarten? Das bedeutet ja viel für die Eltern, wenn die Töchter aus dem Haus gehen. Wahrscheinlich spüren Sie da etwas Richtiges, und Sie helfen Ihren Eltern damit, wenn Ihre unabhängigen Seiten noch nicht so zum Zuge
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