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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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mit dem Kopf gegen das Geländer der Eingangstür schlug. Was war das? Wer ist noch mal Asasel? dachte Fandorin, und: Träume ich etwa? Danndachte er: Jetzt hat er mit seinem Messer Lord Byron getroffen. Fischbein. Für die gertenschlanke Taille.
    Die Tür wurde aufgestoßen, eine lärmende, lachende Gesellschaft drängte heraus.
    »Oho, meine Herren, geben Sie acht, hier haben wir ja ein Schlachtfeld, das reinste Borodino! Es hat sie umgehauen, die Guten. Na, wer nicht zu trinken versteht!«
    Fandorin stützte sich auf, eine Hand gegen die feuchte, heiße Hüfte gepreßt, um nach dem Weißäugigen zu sehen.
    Doch seltsam, der Weißäugige war weg. Achtyrzew lag da, wie er umgefallen war, kopfüber auf den Treppenstufen. Der Zylinder lag auch da, er war ein wenig weitergerollt, nur der Beamte fehlte, war spurlos verschwunden, hatte sich in Luft aufgelöst. Und kein Mensch sonst war auf der Straße zu sehen, die Laternen brannten trübe.
    Plötzlich ging mit diesen Laternen etwas Merkwürdiges vor. Sie drehten sich, kippten, erst wurde es ganz hell – und schließlich ganz finster.

SECHSTES KAPITEL,
    in welchem ein Mann der Zukunft auftritt
    »Liegenbleiben, mein Bester, nur ja liegenbleiben!« sagte Xaveri Gruschin noch auf der Schwelle, als Fandorin in seiner Verlegenheit die Beine vom harten Diwan nehmen und auf den Boden stellen wollte. »Was hat der Doktor Ihnen befohlen? Ich weiß es, ich habe mich erkundigt. Nach der Entlassung zwei Wochen strengste Bettruhe, damit der Schnitt ordentlich verheilen und das erschütterte Gehirn wieder an Ort und Stelle rutschen kann. Und Sie liegen noch keine zehn Tage!«
    Er setzte sich und rieb mit einem karierten Taschentuch seine puterrote Glatze trocken.
    »Uff, die Sonne brennt, brennt wirklich ganz hübsch. Schauen Sie, ich habe Ihnen Marzipan mitgebracht und Kirschen, ganz frisch, wohl bekomm’s! Wo soll ich es hinlegen?«
    Der Kriminalamtsvorsteher sah sich suchend in dem winzigen Kämmerchen um, in dem der Kollegienregistrator logierte. Für das Bündel mit den Mitbringseln war nirgends Platz: Auf dem Diwan lag der Mieter, auf dem Stuhl saß Xaveri Gruschin selbst, auf dem Tisch türmten sich Bücher. Andere Möbel gab es nicht – auch keinen Kleiderschrank. Was dort hineingehört hätte, hing samt und sonders an Nägeln, die Fandorin in die Wand geschlagen hatte.
    »Tut’s denn noch weh?«
    »Kein bißchen!« erwiderte Fandorin, was ein wenig geflunkert war. »Von mir aus können die Fäden morgen schonraus. Es ist ja nur ein bißchen über die Rippen geschlittert, mehr nicht. Und der Kopf ist auch ganz in Ordnung.«
    »Na, na, nehmen Sie sich Zeit mit dem Gesundwerden, das Gehalt läuft ja weiter.« Gruschin zog ein reuiges Gesicht. »Seien Sie mir nicht böse, mein Bester, daß ich erst so spät aufkreuze. Bestimmt haben Sie schon schlecht gedacht von dem Alten – zum Rapportschreiben kommt er gleich ins Krankenhaus gerannt, und nachher, wenn alle Schuldigkeit getan ist, läßt er sich kein zweites Mal blicken. Beim Arzt habe ich Erkundigungen einholen lassen, das schon, aber für einen Besuch war einfach keine Zeit. Wenn Sie wüßten, was im Amt derzeit für ein Trubel ist! Tag und Nacht, ohne Übertreibung.« Der Kriminalbeamte schüttelte den Kopf und senkte vertraulich die Stimme: »Ihr Achtyrzew war nicht irgendwer, er war der leibliche Enkel Seiner Durchlaucht Kanzler Korschakow.«
    »Was Sie nicht sagen!«
    »Der Vater ist Botschafter in Holland, verheiratet in zweiter Ehe, so daß Ihr Intimus in Moskau bei der Tante gewohnt hat, der Fürstin Kortschakowa, im eigenen Palazzo an der Gontscharnaja. Die Fürstin ist voriges Jahr dahingegangen, er hat alles geerbt, dabei stand er sich vorher schon gut, von der seligen Frau Mutter her. Ach, hat das einen Wind gegeben bei uns, ich kann Ihnen sagen. Zuallererst sollte der Vorgang dem Generalgouverneur unterstellt werden, Fürst Dolgoruki persönlich, aber leider war da gar kein Vorgang, man wußte überhaupt nicht, wie man der Sache beikommen sollte. Den Mörder hat außer Ihnen keiner gesehen. Die Beshezkaja, sagte ich Ihnen letztens schon, ist wie vom Erdboden verschwunden. Das Haus leer. Keine Diener, keine Papiere. Da kann man lange suchen: Weder weiß einer, woher sie kommt, noch, wer sie eigentlich ist. Dem Paß nacheine Adlige aus Wilna. Wir haben angefragt – sie ist dort nicht gemeldet. So sieht’s aus. Vorige Woche ruft mich Seine Exzellenz zu sich. ›Nimm’s mir nicht krumm, Xaveri‹, sagt er,

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