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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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hat er den Revolver wieder eingesteckt und mit ihr noch ein bißchen geplaudert, seinen Kaffee ausgetrunken. Ich stand wie versteinert, empfand überhaupt nichts mehr, hatte nur den einen Gedanken: Jetzt müssen wir wieder würfeln.
    Das haben wir dann auf dem Ochotny getan, neben dem Hotel »Loskutnaja«, und da traf es ihn. Ich hatte eine Sieben, er eine Sechs. Sieben und sechs, das ist nur ein Auge Unterschied. Bis zu Gurowskis Gasthaus sind wir zusammen gegangen. Da, wo sie das Historische Museum bauen, trennten wir uns – er spazierte in den Alexandergarten rein, die Allee lang, und ich blieb draußen vor dem Zaun. Das letzte, was er zu mir sagte, war: ›Was sind wir für Idioten, Kolja. Wenn’s jetzt noch mal gut geht, ist Feierabend.‹ Ich wollte ihn aufhalten, Gott ist mein Zeuge, aber ich hab’s nicht getan. Warum, weiß ich nicht. Nein, falsch, geschwindelt, ich weiß es sehr wohl: Es war die pure Gemeinheit. Einmal soll er ruhig noch die Trommel drehen, dachte ich, hinterher sehen wir weiter, vielleicht lassen wir’s ja wirklich gut sein. Das erzähle ich nur Ihnen, Fandorin. Ich komme mir vor wie zur Beichte …«
    Achtyrzew trank wieder, die Augen hinter dem Zwicker waren rot und trübe. Atemlos wartete Fandorin, daß die Geschichte weiterging, obwohl ihm das, was nun kommen mußte, mehr oder weniger bekannt war. Achtyrzew zog eine Zigarre aus der Tasche, rieb mit zitternder Hand ein Zündholz an. Es war auffällig, wie wenig die lange, dicke Zigarre zu dem groben Jungengesicht paßte. Achtyrzew vertrieb mit der Hand die Rauchwolke vor seinen Augen und sprang plötzlich auf.
    »Ober, die Rechnung! Ich halte es hier nicht mehr aus. Der Lärm, die Luft!« Er zerrte an seinem Seidenschlips. »Wir sollten das Lokal wechseln. Oder uns die Beine vertreten.«
     
    Vor dem Eingang blieben sie stehen. Die Straße war düster und leer, alles Licht in den Häusern, mit Ausnahme des »Krim«, erloschen. In der nächststehenden Laterne flackerte und zuckte die Gasflamme.
    »Oder doch lieber nach Hause?« stammelte Achtyrzew undeutlich mit zwischen den Lippen klemmender Zigarre. »Hier um die Ecke muß es Kutschen geben!«
    Die Tür ging auf, heraus trat ihr Tischnachbar von eben, der weißäugige Staatsdiener mit schiefsitzender Mütze. Er hickste laut, kramte in der Tasche seines Uniformrocks und holte eine Zigarre hervor.
    »Dürfte ich um ein Feuerchen bitten?« fragte er und näherte sich ihnen. Fandorin meinte einen leichten, irgendwie baltischen Akzent gehört zu haben.
    Achtyrzew klopfte sich auf die eine, dann auf die andere Tasche, dort klapperten leise die Zündhölzer. Fandorin wartete geduldig. Da plötzlich ging mit dem Weißäugigen eine unbegreifliche Verwandlung vor sich: Er schien zu schrumpfen und ein wenig einzuknicken. Im allernächsten Momentlag wie von ungefähr ein kurzes, flaches Messer in seiner Hand, das der Beamte mit knapper, wippender Bewegung in Achtyrzews rechte Seite stieß.
    Das weitere geschah sehr schnell, binnen zwei, drei Sekunden, aber Erast Fandorin schien es, als stünde die Zeit still. Er nahm so manches wahr, dachte so manches, nur sich vom Fleck zu rühren vermochte er nicht; es war, als hätte das Aufblitzen der stählernen Klinge ihn hypnotisiert.
    Das erste, was Fandorin durch den Kopf ging, war: Er hat die Leber getroffen – und sogleich tauchte, wer weiß aus welchen Tiefen des Gedächtnisses, ein Satz aus dem Gymnasiallehrbuch für Biologie vor ihm auf:
Die Leber ist diejenige Innerei im tierischen Körper, worin Blut und Galle sich sondern
. Als nächstes sah er Achtyrzew sterben. Fandorin hatte nie zuvor jemanden sterben sehen, doch daß Achtyrzew starb, wußte er aus irgendeinem Grund genau. Sein Blick war vollkommen gläsern geworden, die Lippen zuckten im Krampf, und ein dünner Strahl kirschroten Bluts kam zwischen ihnen hervorgeschossen. Langsam und, wie es Fandorin schien, geradezu elegant zog der Beamte das Messer zurück, dessen Klinke nun nicht mehr blitzte; ganz langsam drehte er sich zu Fandorin um, und sein Gesicht war plötzlich sehr nah: die weißen Augen mit den schwarzen Pupillenpunkten, die schmalen, blutleeren Lippen. Letztere bewegten sich, sprachen ein vernehmliches Wort: »Asasel«. Und dies war der Moment, da die Zeit, die sich einer Feder gleich gedehnt hatte, an die Grenze ihrer Dehnbarkeit gekommen war, sie entspannte sich nun blitzartig und fuhr Fandorin brennend in die rechte Seite, so heftig, daß er einfach nach hinten umfiel und

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