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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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geprägt schien, so wie das glattrasierte Kinn mit dem Grübchen Selbstsicherheit ausstrahlte. Die grauen, durchdringend blickenden Augen hatten das Zimmer in Blitzesschnelle gemustert und ruhten nun auf Fandorin.
    »Wie ich sehe, muß ich mich nicht erst vorstellen«, sagte der Gast fröhlich. »Das Wichtigste über mich ist Ihnen bereits bekannt, wenn auch vielleicht in etwas ungünstigem Licht. Hat Gruschin sich über den Telegrafen beschwert?«
    Fandorin klapperte mit den Augen und wußte nicht, was er sagen sollte.
    »Das ist die deduktive Methode, mein lieber Fandorin. Die Rekonstruktion des Gesamtbildes aus einigen beiläufigen Details. Hierbei kommt es darauf an, sich nicht zu weit vorzuwagen,keine unkorrekten Schlüsse zu ziehen, solange die vorhandene Information mehrere Deutungen zuläßt. Aber darüber sprechen wir noch, das hat Zeit. Was Gruschin betrifft, so liegen die Dinge sehr einfach. Ihre Wirtin hat sich fast bis zum Boden vor mir verneigt und mich mit ›Exzellenz‹ angesprochen – Punkt eins. Äußerlich sehe ich, wie Sie unschwer bemerken, einer Exzellenz wenig ähnlich, bin bislang auch keine solche, mein Rang ließe allenfalls ein ›Hochwohlgeboren‹ zu – Punkt zwei. Zu keinem außer Gruschin habe ich von meiner Absicht, Sie zu besuchen, gesprochen – Punkt drei. Daß des Herrn Kriminalvorstehers Äußerungen zu meiner Tätigkeit nicht eben schmeichelhaft sind, ist klar – Punkt vier. Na, und der Telegrafenapparat, ohne den es, wie Sie gewiß zustimmen werden, im modernen Kriminalwesen nicht mehr geht … den kann unser lieber, betulicher Xaveri Feofilaktowitsch Gruschin unmöglich verschwiegen haben – Punkt fünf. Korrekt?«
    »Korrekt!« entfuhr es Fandorin, womit er, beschämt und hochbeeindruckt, dem guten Gruschin die Treue aufkündigte.
    »Nanu, in Ihrem zarten Alter schon Hämorrhoiden?« fragte der muntere Gast, während er die Mixtur vom Stuhl auf den Tisch stellte und Platz nahm.
    »Nicht doch!« Fandorin wurde flammend rot und im selben Moment auch Agrafena Kondratjewna untreu. »Das … das hat die Wirtin verwechselt. Sie verwechselt immerzu etwas, Euer Hochwohlgeboren. Wo diese Frau nur ihren Kopf hat!«
    »Verstehe. Aber sagen Sie Iwan Franzewitsch oder, noch besser, einfach Chef zu mir, wir werden ja miteinander das Vergnügen haben. Ich las übrigens Ihren Rapport.« Brilling kam ohne Umschweife zum Thema. »Der hat Hand undFuß. Gut beobachtet. Gut geschlußfolgert. Und ich bin angenehm überrascht von Ihrer Intuition – das ist in unserem Geschäft das Allerwertvollste. Bevor man weiß, wie die Dinge sich entwickeln, muß einem der Instinkt schon sagen, was zu tun ist. Wie kamen Sie eigentlich darauf, daß der Besuch bei der Beshezkaja gefährlich für Sie werden könnte? So daß Sie Vorsorge trafen und ein Schutzkorsett anlegten? Alle Achtung!«
    Die Röte in Fandorins Gesicht nahm immer mehr zu.
    »Doch, das war ein großartiger Einfall. Vor Kugeln kann so etwas zwar nicht schützen, aber gegen Hieb- und Stichwaffen ist es bestens geeignet. Ich werde dafür sorgen, daß eine Partie solcher Korsetts für Agenten in riskanten Einsätzen angeschafft wird. Wie heißt die Marke?«
    »Lord Byron«, gab Fandorin verschämt Auskunft.
    »Lord Byron«, wiederholte Brilling und notierte es in ein kleines, in Leder gebundenes Büchlein. »Und jetzt sagen Sie mir, wann Sie wieder anfangen können? Ich habe mit Ihnen so einiges vor.«
    »Von mir aus schon morgen!« rief Fandorin emphatisch und sah seinen neuen Vorgesetzten respektive Chef verliebt an. »Gleich früh gehe ich zum Doktor und lasse mir die Fäden ziehen, dann stehe ich zu Ihrer Verfügung!«
    »Großartig. Wie würden Sie übrigens die Beshezkaja charakterisieren?«
    Fandorin wurde von neuem verlegen; holpernd, unter Zuhilfenahme vieler Gesten, begann er: »Das ist … wie soll ich sagen … eine seltene Erscheinung. Eine Kleopatra. Oder Carmen … Sie ist unbeschreiblich schön, aber darum geht es gar nicht. Ihr Blick ist wie ein Magnet, aber darum geht es auch nicht. Ich hab’s, die Hauptsache ist etwas anderes: Man spürt in ihr eine gewaltige Kraft. Eine Kraft, bei der man dasGefühl hat, sie spielt mit allem und jedem. Und das Spiel hat unbegreifliche Regeln, es ist ein grausames Spiel. Diese Frau ist meiner Meinung nach durchaus lasterhaft, aber zugleich … absolut unschuldig. Als wäre sie nur falsch erzogen worden in ihrer Kindheit. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll …« Fandorin, da er

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