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Fandorin

Fandorin

Titel: Fandorin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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merkte, daß er Unsinn redete, wurde schon wieder rot, brachte seinen Vortrag jedoch zu einem Ende. »Mir scheint, sie ist nicht so schlecht, wie es scheinen will.«
    Der Staatssekretär sah den jungen Mann forschend an und stieß einen leisen, übermütigen Pfiff aus.
    »Ach, so läuft der Hase. Das dachte ich mir. Ich sehe, diese Amalia Beshezkaja ist ein geradezu hochgefährliches Wesen. Insbesondere für junge Romantiker in der sexuellen Reifephase.«
    Zufrieden mit der Wirkung seines Scherzes, stand Iwan Brilling auf und ließ noch einen Blick durch das Zimmer gehen.
    »Dieser Stall wird Sie um die zehn Rubel kosten, nehme ich an?«
    »Zwölf«, entgegnete Fandorin mit Würde.
    »Die Dekoration kommt mir bekannt vor. Ich habe seinerzeit genauso gehaust. Als Gymnasiast im ruhmreichen Charkow. Mir ging es nämlich wie Ihnen – schon als Kind stand ich ohne Eltern da. Aber das kann für die Herausbildung der Persönlichkeit nur von Nutzen sein. Fünfunddreißig Rubel Gehalt, gemäß Rangliste?« erkundigte sich der Staatssekretär so übergangslos wie zuvor.
    »Plus Quartalszulage für Überstunden.«
    »Ich werde anweisen, daß man Ihnen fünfzig Rubel Prämie aus dem Sonderfonds auszahlt. Für Gewissenhaftigkeit im Dienst und als Schmerzensgeld. Dann also bis morgen.Wenn Sie da sind, arbeiten wir an den möglichen Versionen des Hergangs.«
    Worauf sich die Tür hinter dem erstaunlichen Besucher schloß.
     
    Das Kriminalamt war in der Tat nicht wiederzuerkennen. Nie gesehene Herren mit Ordnern unter dem Arm fegten geschäftig über die Gänge, und auch die Bediensteten, die Fandorin kannte, liefen zügiger, disziplinierter, nicht mehr so watschelnd wie früher. Im Raucherzimmer war – o Wunder! – keine Menschenseele. Aus purer Neugier schaute Fandorin in den Erfrischungsraum, wo auch wirklich anstelle von Samowar und Teegeschirr ein Baudot-Telegraf auf dem Tisch stand; der Telegrafist – in schmucker Uniformjacke mit doppelter Knopfleiste – sah den Eingetretenen streng und fragend an.
    Der Kommissionsstab hatte im Kabinett des Amtsvorstehers seinen Platz gefunden, da der Herr Oberst seit dem gestrigen Tage beurlaubt war. Fandorin, noch etwas blaß von der schmerzhaften Prozedur des Fädenziehens, klopfte an und lugte durch den Türspalt. Das Kabinett hatte sich gleichfalls verändert: Die ehrwürdigen Ledersessel waren verschwunden, an ihrer Statt gab es drei Reihen einfacher Stühle, und zwei Schultafeln standen an der Wand, über und über mit irgendwelchen Schemata bekritzelt. Wahrscheinlich hatte hier gerade eine Konferenz stattgefunden – Brilling säuberte sich mit einem Lappen die kreidebeschmutzten Hände, während die Agenten und Staatsdiener, besorgt miteinander tuschelnd, auf die Tür zukamen.
    »Treten Sie ein, Fandorin, was stehen Sie da auf der Schwelle herum!« forderte der neue Herr des Kabinetts den verschüchterten Fandorin auf. »Geflickt und verarztet? Prima! Sie sind mir direkt unterstellt. Einen Tisch muß ichIhnen nicht zuweisen – zum Sitzen werden Sie ohnehin nicht kommen. Schade, daß Sie die Konferenz verpaßt haben, wir hatten eine interessante Diskussion über diesen Asasel aus Ihrem Rapport.«
    »Ach!« Fandorin horchte auf. »Gibt es den wirklich? Hab ich mich nicht verhört? Ich hatte schon an eine Täuschung geglaubt.«
    »Nein, keine Täuschung. Asasel, so heißt ein gefallener Engel. Was hatten Sie für eine Note in Religion? Sagen Ihnen die Sündenböcke noch etwas? Von denen gab es, falls Sie sich entsinnen, zwei. Der eine war für Gott bestimmt, der andere für Asasel, um ihn zu besänftigen. Bei den Juden im Buch Henoch lehrt Asasel die Menschen allerlei unnütze Dinge: die Männer das Kriegführen und Waffenbauen, die Frauen das Schminken und Abtreiben. Mit einem Wort, ein rebellierender Dämon, ein Geist der Geächteten.«
    »Und was kann das bedeuten?«
    »Ein Kollegienassessor, einer von euch Moskauern, hat gleich eine ganze Verschwörungstheorie entwickelt, von wegen jüdischer Geheimbund und so weiter. Vom Synedrium der Juden hat er gefaselt und vom Blut der Christenkinder. Mit der Beshezkaja als Tochter der Israeliten und Achtyrzew als Lamm, geopfert auf dem Altar des jüdischen Gottes. Kompletter Schwachsinn. Diese judeophoben Wahnvorstellungen kenne ich aus Petersburg nur zu gut. Sowie ein Unglück geschieht und die Gründe nicht gleich klar sind, kommt die Rede auf das Synedrium.«
    »Und was ist Ihre Ansicht, Chef?« Fandorin gebrauchte die ungewohnte

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