Fangjagd
zog. Er drückte den kleinen Mann übers Waschbecken und hielt ihm die MP-Mündung unters Kinn. Nagys Augen quollen vor Entsetzen beinahe aus den Höhlen.
„Hör zu“, sagte Graf halblaut, „du hast jetzt die Wahl, ob du singen oder aus diesem Zug fallen willst. Es kommt oft genug vor, daß Leute die Türen verwechseln und aus dem Zug stürzen. Wenn du das nicht willst, erzählst du mir am besten gleich, für wen du arbeitest. Wir wissen, daß du Newman beschattest …“
„Hören Sie, damit kommen Sie nicht durch!“ keuchte Nagy.
„Los, pack schon aus, ich hab’s eilig!“
Nagy hörte ein Klicken, und ihm war klar, daß der Unbekannte die Maschinenpistole entsichert hatte. Beinahe noch erschreckender war jedoch der starre, glasige Blick des Angreifers.
„Kann so… nicht sprechen…“ Graf lockerte den Druck, mit dem er Nagys Hals umklammerte, etwas. Aber nur ganz wenig. „Tripet“, sagte der kleine Ungar. „Ich beobachte Newman in seinem Auftrag.“
„Wer, zum Teufel, ist Tripet?“ fragte Graf halblaut, ohne Nagy auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen.
„Chefinspektor Tripet. Von der Súrete in Genf. Ich hab’ schon früher für ihn gearbeitet. Er beauftragt mich manchmal, Leute zu beobachten…“
Nagy, der allgemein verachtete Schnüffler, ein Mann, der die schmutzige Arbeit anderer Leute tat, hatte mehr Zivilcourage, als man ihm zugetraut hätte. Er war fest entschlossen, Pierre Jaccard vom
Journal de Geneve
nicht zu verraten. Bei diesem Auftrag konnte er viel Geld verdienen. Und Jaccard hatte stets Wort gehalten. Aber in Nagys Welt zählte Vertrauen weit mehr als Geld – oder als Drohungen.
„Du vergisst jetzt diesen Tripet, verstanden?“ fuhr Graf drohend fort. „Ab sofort arbeitest du für mich. Nein, halt die Klappe und hör zu! Du tust nichts anderes, als du bisher getan hast: Du beschattest Newman. Hier ist die Nummer, unter der ich telefonisch zu erreichen bin…“ Graf steckte Nagy einen zusammengefalteten Zettel in die Manteltasche.
„Wer sich meldet, ist berechtigt, eine Nachricht für mich entgegen zunehmen, du nennst deinen Namen und berichtest dann, wo Newman gewesen ist und mit wem er sich getroffen hat. Dafür wirst du natürlich bezahlt…“ Er steckte dem kleinen Mann mehrere Geldscheine in dieselbe Tasche.
„Sobald Newman aussteigt, folgst du ihm, stellst fest, in welchem Hotel er wohnt, und nimmst dir selbst ein Zimmer.
Danach meldest du sofort, wo du zu erreichen bist.“
„Verstanden“, antwortete Nagy heiser. Er rieb sich seine schmerzende Kehle, nachdem Graf ihn losgelassen und die Waffe zurückgezogen hatte. „Ich tue, was Sie verlangen.“
„Und versuche ja nicht, dir die Sache nochmal zu überlegen, wenn du wieder allein bist“, fuhr Graf mit dem unangenehmen Tonfall fort, der Nagy so beunruhigte. Großer Gott, dieser Schweinehund hätte ihn um ein Haar ermordet!
„Tu’s lieber nicht!“ warnte Graf. „Einer meiner Männer ist ständigem deiner Nähe. Du wirst ihn nicht sehen, aber du kannst dich darauf verlassen, daß er im richtigen Augenblick zur Stelle ist. Dieser Mann reagiert impulsiv – und sehr brutal. Sobald er auch nur den geringsten Verdacht hat, daß du falsch spielst, legt er dich um. Das verstehst du doch hoffentlich, Nagy?“
„Ja, ich verstehe…“
Nagy war vor allem deswegen so erbittert, weil dieser Angriff sich gegen seine
Würde
gerichtet hatte. Er war in einer Zugtoilette überfallen, misshandelt und bedroht worden. Graf, der diese Reaktion seines Opfers nie verstanden hätte, hatte sich noch eine weitere Niederträchtigkeit ausgedacht, um den kleinen Mann zu demütigen. Er hatte ein Stück Seife vom Waschtisch genommen und Nagy in den Mund gestopft, bevor er ihn in der Toilette zurückgelassen hatte.
Nagy, der wieder auf seinem Platz in der Zweiten Klasse saß, als der Schnellzug den Genfersee verließ und nach Norden in Richtung Fribourg weiter rollte, hatte den widerlichen Seifengeschmack noch immer im Mund. Er hatte den festen Entschluss gefaßt, sich an seinen neuen Auftraggebern, wer immer sie auch sein mochten, zu rächen.
Die nach Norden führende Bahnstrecke stieg merklich an, und auf den Feldern lag jetzt mehr Schnee. Newman schwieg noch immer, er war tief in Gedanken versunken, als der Schnellzug in Fribourg hielt und die letzte Etappe nach Bern in Angriff nahm.
Als der Engländer ihr Gepäck herunter holte, weil der Zug in Bern einfuhr, hatte Köhler bereits den Großraumwagen verlassen und
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