Fangjagd
sich in einem Minenfeld bewegen.“
Kurz vor 22 Uhr stand Newman vor den Gepäckschließfächern auf dem Berner Hauptbahnhof. Er war von der Taubenhalde aus zu Fuß durch einsame Gassen gegangen und hatte einige Umwege gemacht, bis er sicher war, nicht beschattet zu werden. Wie er vermutet hatte, passte der Schlüssel aus Nagys Umschlag in die Tür des Schließfachs, das die gleiche Nummer wie der flache Schlüssel trug.
Newman sperrte das Schließfach auf, bückte sich, um hineinsehen zu können, und entdeckte darin einen weiteren Briefumschlag. Auch dieser war in ungelenker Handschrift an ihn selbst im Bellevue Palace adressiert. Der Engländer steckte den Umschlag ein und machte sich auf den Weg in das große Selbstbedienungsrestaurant im Bahnhof. Er war durstig und vor allem hungrig.
Er entschied sich für einen Ecktisch und nahm mit dem Rücken zur Wand Platz, um den Raum überblicken zu können.
Während er zwei Wurstsemmeln verschlang und seinen Kaffee trank, achtete er auf die hereinkommenden Reisenden.
Niemand schien ihn zu beachten. Newman holte den Briefumschlag aus der Tasche und riß ihn auf. Nagy hatte ihm auf Deutsch geschrieben:
Sehr geehrter Herr Newman, ich weiß nicht, wie lange ich noch durchhalten kann. Die beiden ersten Photos hab ich vor dem Hauptbahnhof gemacht.
Chefinspektor Tripet (Genf) hat mir den Auftrag gegeben, Sie zu überwachen. Deshalb bin ich mit demselben Zug wie Sie nach Bern gekommen. Unterwegs bin ich in die Zugtoilette gedrängt und bedroht worden. Der Schläger hat mir Geld gegeben und mich angewiesen, Sie zu beschatten. Die Telefonnummer auf dem Zettel, den sie mir im Finstergäßchen abgenommen haben, ist die Nummer, die ich anrufen sollte, um meine Beobachtungen zu melden. Die Autonummer gehört zu einem Mercedes, der vor dem Bahnhof gewartet hat. Der Mann, den ich für den Boß des Schlägers halte, ist in den Mercedes gestiegen.
Das sind die beiden ersten Photos. Die dritte Aufnahme zeigt wieder den Mann, der in den Mercedes gestiegen ist. Ich hab ihn gegen Abend wieder in Bern gesehen. Wer der andere Mann ist, weiß ich nicht. Ich hab den ersten Mann durch Zufall beim Bellevue Palace gesehen. Deshalb hab’ ich ihn auch photographiert. Nehmen Sie sich vor diesen Leuten in acht, Herr Newman!
Ihr alter Freund J. A. Nagy Newman empfand ein leichtes Gefühl der Übelkeit. Er erinnerte sich lebhaft daran, wie Foley den Ungarn mit seinem Stock gegen die massive Holztür gedrückt hatte. Aber diese Reaktion machte rasch kalter Wut Platz. Newman saß da und versuchte sich vorzustellen, was passiert war, nachdem Nagy durch das Finstergäßchen verschwunden war. Julius Nagy musste auf dem schnellsten Wege – vielleicht sogar mit einem Taxi – zum Bahnhof gefahren sein. Höchstwahrscheinlich hatte er hier in diesem Selbstbedienungsrestaurant in aller Eile seine Nachricht an Newman geschrieben und den Brief dann in ein Schließfach gelegt. Den Schlüssel hatte er in einen vorbereiteten Umschlag gesteckt und in die Manteltasche geschoben. Rätselhaft war nur, warum Nagy dann wieder in die Münstergasse zurückgekehrt war. Wenn er sich beeilt hatte, konnte er das alles in einer halben Stunde geschafft haben. Als er nach dieser Zeit in die Münstergasse zurückgekommen war, musste ihm jemand aufgelauert haben. Wer wohnte in diesem Stadtteil? Ihm fiel nur ein Name ein: Blanche Signer. Das erinnerte ihn daran, daß es sich vielleicht lohnen könnte, sie jetzt anzurufen. Newman stand bereits in einer der Telefonzellen im Hauptbahnhof, als ihm einfiel, daß es vielleicht besser wäre, erst Nancy anzurufen. Er wählte die Nummer des Hotels Bellevue Palace mit gewissem Widerstreben. Er musste einige Minuten warten, bis Nancy an den Apparat kam. Ihr Gespräch verlief nicht sonderlich freundlich.
„Nur gut, daß ich nicht mit dem Abendessen auf dich gewartet habe!“ sagte sie zur Begrüßung. „Wo steckst du eigentlich, verdammt noch mal?“
„In einer Telefonzelle …“
„Und das soll ich dir wohl glauben?“
„Hör zu, Nancy!“ Sein Tonfall wurde schärfer. „Ich bin mit dir nach Bern gekommen, um feststellen zu helfen, was mit Jesse los ist. Und ich habe den ganzen Abend damit verbracht, dieses Ziel zu verfolgen. Und das war nicht besonders erfreulich!“
„Glaubst du vielleicht, daß ich mich amüsiert habe? Ich hab’ so lange auf dich gewartet, daß mir das Essen nicht mehr geschmeckt hat. Darf ich damit rechnen, dich irgendwann heute Nacht wiederzusehen? Oder
Weitere Kostenlose Bücher