Fangonia (German Edition)
konnte es ihnen gerade noch zuraunen, als die Nebelgeister sie einhüllten und jeder weitere Flüsterton in den silbernen Schwaden erstickte.
~ ~ ~
Der Nebel streifte Dinas Gesicht wie eine kühle Hand, legte seinen feuchten, klammen Arm um ihre Schultern, drückte sich an sie. Die Luft war beklemmend, das Atmen fiel schwer. Dina wusste nicht, wie lange sie schon auf dem See unterwegs waren. Es konnten nur ein paar Minuten gewesen sein, aber ihr erschien es wie eine kleine Ewigkeit. Sie hatte jegliches Zeit- und Raumgefühl in der Undurchdringlichkeit des Nebels verloren. Tief hatte er sich auf ihr Boot gesenkt – nicht einmal ihre Hand konnte sie vor Augen sehen – hüllte sie in Schweigen. Es war wirklich entsetzlich still um sie herum. So schrecklich still.
Doch dann…
„Dina“, wisperte es aus dem silbergrauen Dunst. „Dina… Wir haben dich vermisst! ... Weißt du noch, wer wir sind? Erinnerst du dich an uns?“
Singend, säuselnd, vibrierte es in ihren Ohren. Was geschah hier? Verdutzt drehte sie sich nach allen Seiten um – nichts, nur dichter Nebel. Woher kannten die Stimmen ihren Namen? Ihr wurde ganz unheimlich zumute. Reagiert auf nichts , hatte Muschelstaub sie gewarnt. Sie musste sich daran halten.
„Komm zu uns Dina… Spiel mit uns… Komm… Du willst es doch...“, lullten die singenden Flüsterstimmen sie ein.
Die Fahrt schien kein Ende zu nehmen. Wann würden sie endlich das andere Ufer erreichen?
„…Komm zu uns… Wir warten… Wir warten schon so lange….“
Hört auf! dachte Dina, Lasst mich in Ruhe. Sie wollte die Stimmen nicht hören, sie waren so unheimlich, fremd, und dennoch so eigenartig vertraut, wunderschön. Ja, sie weckten in ihrem Herzen eine längst vergessene Sehnsucht. Ein Begehren. Sie wusste nicht einmal wonach. Es war egal, sie wollte es haben, was es auch war, um jeden Preis! Sie wollte, musste…!
Auf einmal empfand sie ein brennendes Verlangen, den lockenden, wispernden Stimmen zu folgen. Sie würde einfach eintauchen in das schwarze, abgrundtiefe Dunkel, ja, eintauchen und alles um sie herum, sich selbst, vergessen… gleich… jetzt….
Nein! Eine entschiedene Stimme meldete sich in ihrem Kopf, drückte sie wieder ins Boot, zwang ihre Hände sich gegen die Ohren zu pressen. Nein! Sie würde nicht nachgeben.
Aber ihr schwindelte so, und die Klänge waren so süß, so verlockend, so versprechend…
Ein Ruck durchfuhr das Boot, brachte Dina zurück in die Wirklichkeit. Endlich, sie hatten den See überquert. Die Nebelgeister lösten den Griff um Dinas Schultern, und schwebten lautlos zurück auf den See. Schnell stiegen die Insassen aus dem Boot. Kaum hatten sie es verlassen, verpuffte es in einer silbernen Wolke. Die Luft war wieder klar. Dina atmete tief durch. Sie war noch immer ganz durcheinander.
„Joe, Muschelstaub, habt ihr das auch gehört? Diese Stimmen… Was war das?“ Dina wandte sich aufgeregt ihren Freunden zu. Joe machte einen verträumten Eindruck. Verklärt sah er Dina an.
„Stimmen? Welche Stimmen? Aber hast du das gesehen, Dina? Mein Boot, es war ganz und glänzte silbrig grün! Es war – wunderschön!“
„Ich habe nichts gesehen… Aber diese Klänge, diese Stimmen… Muschelstaub?“
Er hatte noch keinen Ton von sich gegeben. Sein Gesicht war ungewöhnlich ernst. Es passte nicht zu seinem Knubbelnäschen. Wortlos folgte er einem kleinen Pfad, der vom See hinweg führte. Die Kinder liefen hinter ihm her. „Vergesst, was ihr gehört und gesehen habt. Es spielt keine Rolle.“
Verdutzt schauten sich Dina und Joe an.
„Wieso, was meinst du?“
„Das hier, meine Freunde, ist der See der unerfüllten, versunkenen Wünsche. Das, was ihr gesehen oder gehört habt, waren einmal eure Träume. Gut, dass ihr nicht auf sie reagiert habt. Man ist verloren, wenn man alten Träumen nachhängt!“
Er wies auf den schwarzen, stumm hinter ihnen daliegenden See.
„Meine alten Wünsche und Träume sind in diesem See?“, fragte Dina.
„Nicht nur deine. Jeder unerfüllte Wunsch liegt hier.“
„Der See ist zwar groß, aber so riesig ist er doch auch nicht, dass sämtliche zerstörten Träume in ihm Platz hätten.“ Dina bezweifelte das.
„Nicht, wenn der See keinen Boden hat, oder?“
Dina wusste dem nichts entgegen zu setzen. Doch der Gedanke über einen bodenlosen, schwarzen See gefahren zu sein, war nicht gerade erbaulich.
„Warum durften wir nicht auf die Wünsche reagieren? Sie wollten doch wieder zu uns!“ Joe
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