Fangonia (German Edition)
unbeschwerte Melodie. Die Wanderung machte ihm Spaß. Er hatte sich nicht zu viel von diesem Sommer versprochen, der an diesem Ort mild wie der Frühling war!
Allmählich wich der ernste Ausdruck auf Muschelstaubs Gesicht. Die warme Sonne, die Farben, die Düfte – all das vertrieb die dunklen Ereignisse vergangener Nacht und erfüllte ihn mit Mut und Kraft für neue Taten.
Je weiter sie liefen, desto höher wuchsen die Blumen um sie herum. Selbst Joe konnte sich nun aufrecht stehend in der Wiese verstecken.
Ein leises, glockenhelles Lachen schallte zu den Wanderern hinüber. Muschelstaub drehte sich freudig zu den Kindern um: „Das sind sie! Kommt mit!“
Damit drehte er sich um und verschwand vollständig in der dichten, hohen Blumenwiese. Beschwingt von dem Gedanken, endlich Feen zu sehen, rannten die beiden hinter ihm her.
Und dann sahen sie sie: Zu dritt saßen die kleinen Wesen auf einem blauen Blütenkelch, und badeten ihre winzigen Füßchen in dem kühl schillernden Tautropfen, den der fortgeschrittene Tag vergessen hatte einzusammeln. Sie hatten die Besucher noch nicht bemerkt. Zu abgelenkt waren sie durch ihre kleinen gegenseitigen Sticheleien.
„Annabelle, deine Flügel sind voller Blütenstaub. Vielleicht sollten wir dich ganz ins Wasser tauchen, damit du einmal in deinem Leben sauber wirst!“ Eine kleine blonde Fee zwickte ihrer Freundin neckisch in das Flügelchen.
„Wenigstens sieht man, dass ich gearbeitet habe, im Gegensatz zu dir, meine liebe Lilli. Hattest du heute Morgen wieder Probleme aus dem Bett zu kommen?“ Provokativ warf Annabelle ihr langes rotes Haar zurück. „Sag, von wem hast du geträumt?“
Lilli wollte gerade kontern, als ein Schwall Wasser sich über sie und Annabelle ergoss, der beide von dem Kelch flüchten ließ.
„Doriella!“, riefen sie entrüstet.
Die dritte kicherte vergnügt, während sie zusah, wie ihre Freundinnen das Wasser von sich abschüttelten.
Zwar liebten Feen Fußbäder – aber ganz abgeduscht zu werden, das war einfach zu unangenehm.
Doch Doriella war nicht die einzige, die lachte. Muschelstaub, Joe und Dina prusteten bei dem Anblick der sich windenden kleinen Geschöpfe.
Erschrocken drehten sich die Feen zu ihnen um und erstarrten.
„Wer seid ihr, wie kommt ihr hierher?“ Lilli erholte sich als erste.
Muschelstaub stellte sich und seine Freunde vor.
„Wir sind auf der Durchreise“, ließ er sie wissen. Dabei schlug er einen so wichtigen Ton an, dass Dina fast dachte, sie hätte Glori sprechen hören.
„Du bist ein Sandling, nicht wahr?“ Lilli flog neugierig auf ihn zu und umkreiste ihn. „Ist lange her, seitdem wir einen von euch gesehen haben!“
Auch Annabelle und Doriella umkreisten sie jetzt und warfen neugierige Blicke auf Dina und Joe.
„Was sind das für Wesen?“ Doriella zeigte auf die Kinder. „Solche haben wir noch gar nicht gesehen! Wo ist ihr Revier?“
„Das sind Menschen, sie kommen nicht von der Insel. Aber Erklärungen dauern jetzt zu lange.“, schnitt er die Frage ab, die Lilli gerade stellen wollte.
„Führt uns zu eurer Prinzessin. Ich erzähle es ihr. Außerdem muss ich mit ihr etwas Wichtiges besprechen.“
„Sag uns worum es geht, und wir führen dich zu ihr!“
„Die Abmachung!“
„Ooooh. – Folgt uns.“
Prinzessin Gwendolyn und Esmeralda
E ine zierliche Fee mit langen kobaltblauen Haaren und großen veilchenfarbenen Augen saß im Kern einer riesigen, violetten Blüte. Fingerhutgroße Schalen, bis zum Rand gefüllt mit goldbraun-glänzendem Inhalt, standen auf dem gelben Doldentisch vor ihr.
Sie tauchte einen Finger in die erste Schale und ließ ihn einmal rechtsherum, einmal linksherum kreisen. Dann zog sie ihn vorsichtig aus der zähen Flüssigkeit heraus und prüfte kritisch die Wirkung des Sonnenlichts auf die klebrige, goldene Masse. Ein schmaler Goldreif schmückte ihr zartes Handgelenk. Zum Schluss steckte sie den Finger in den Mund. Mhhh. Ihr Gesichtsausdruck versprach Zufriedenheit.
„Der hier ist gut, Esmeralda.“
Eine Fee mit dunklen Haaren schwebte hinzu, hob die Schale wortlos vom Tisch, und trug sie zu einer hohen, halb geöffneten Knospe. Hier lagerten schon einige Schalen mit dem kostbaren Inhalt.
„Der hier ist nicht so gut, Esmeralda!“
Die kleine Fee flog wieder zum Tisch, hob die nächste Schale hoch, und kippte sie über den Blütenrand. Träge floss die braune Flüssigkeit in das am Blumenstängel angebrachte Auffangbecken für die minderwertige
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