Fangonia (German Edition)
verstand nicht. Er hätte sich zu gerne in sein Boot gesetzt. Er hatte schwer mit sich zu kämpfen gehabt.
„Natürlich wollten sie zu dir zurück, nur du kannst ihnen die Nahrung geben, die sie benötigen, um lebendig zu sein. Sie brauchen dein Sehnen, dein Streben, dein Verlangen. Aber wenn du einmal einen Wunsch abgelegt hast, dann passt er dir nicht mehr!“, knirschte Muschelstaub, „Du bist aus dem Traum herausgewachsen, hast dich weiterentwickelt.“
„Das ist aber irgendwie traurig“, fand Dina. Sie erinnerte sich an so viele Wünsche. Schöne Wünsche.
„Das ist nicht traurig, Dina! Wünsche verändern sich, nehmen neue Gestalt an. Du wirst nie ohne Träume sein. Das was hier liegt, sind nur alte Schatten, abgelegte nutzlose Erinnerungen. Kommt mit, wir müssen weiter.“
Der Schleier der Nacht hatte sich gehoben. Der Himmel zeigte sich in hellen Grautönen.
„Wir haben es noch gerade rechtzeitig geschafft“, meinte Muschelstaub, als sie sich vom See entfernten.
„Warum konnten wir nur nachts den See überqueren?“, fragte Joe.
„Ganz einfach. Nachts sind die Träume am lebendigsten – auch die versunkensten… Und außerdem“, er drehte sich um und zeigte auf den stillen See.
Er sah nun gar nicht mehr so unheimlich aus. Der Nebel hatte sich gelichtet. Der erste Sonnenstrahl stahl sich über das graue Wasser. Genau als sein Licht das andere Ufer erreicht hatte, fiel der See auf einmal in der Mitte zusammen. Er kippte. Ein wilder Strudel bildete sich, wühlte das zähe, träge Wasser auf, riss es in die Tiefe. Schäumend leerte sich der See in einen bodenlosen Abgrund und ließ eine unüberwindbare Schlucht zurück.
„Und außerdem: deswegen! Oder könnt ihr etwa fliegen?“, beendete Muschelstaub seine Erklärung. „Ja“, lachte er, „da haben sich die Feen etwas wirklich Hübsches einfallen lassen, um ihr Gebiet abzugrenzen. Aber jetzt kommt endlich.“
Die Feen-Wiesen
S ie waren schon ein paar Stunden über Wiesen und Felder gelaufen, als Muschelstaub sie endlich rasten ließ. Die Kinder waren müde, sie hatten in der letzten Zeit nicht viel Schlaf bekommen. Zu viele neue Eindrücke warteten darauf, in Träumen verarbeitet zu werden. Der Himmel wölbte sich über ihnen in nahtlosem Blau. Dina konnte sich nicht daran erinnern, jemals einen so blauen Himmel gesehen zu haben. Ein sanfter Wind strich über das hohe Gras, in dem sie lagen. Weit hinten, in friedlicher Entfernung, sah Dina den schroffen Felsenberg, dessen Spitze noch immer in einer dichten, dunklen Wolke verschwand. Doch inmitten der grünen Wiesen mit den bunten Schmetterlingen und den warmen Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht, sah er gar nicht mehr bedrohlich aus.
Dina und Joe erwachten mit einem Bärenhunger. Der Sonne nach zu urteilen, war es früher Nachmittag, und sie hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen. Muschelstaub zog ein paar getrocknete Sandwürmer aus der Tasche und hielt sie ihnen unter die Nase. Dann doch lieber hungrig, überlegten sie. Er zuckte die Achseln und schob sich genussvoll einen Wurm in seinen sandigen Mund.
Weiter ging es über eine herrliche, saftig-grüne Wiese. Wilde eigenartige Blumen wuchsen hier – solche hatte Dina noch nie gesehen. Große, prächtige Blütenkelche hatten sie, die in allen Farben des Regenbogens schillerten. Fast erschien es Dina so, als könnten sie ihre Farbe beliebig verändern: von rot nach lila, von lila nach blau, von blau nach gelb.
Da die Blumen aber so dicht nebeneinander wuchsen und der frühlingswarme Wind sie sanft hin und her wiegte, war sie sich nicht wirklich sicher, ob es so war.
Sie konnte sich gut vorstellen, dass dies ein Platz war, an dem sich Feen wohl fühlen konnten. Wo versteckten sie sich? Sie konnte es kaum abwarten, sie endlich zu Gesicht zu bekommen.
Erst hatte Dina gedacht, Muschelstaub hätte in der Nacht gescherzt, als er die Feen erwähnte. Aber er hatte es jetzt mehrfach bestätigt, als Joe und Dina ihn immer wieder danach fragten.
„Ja, zum letzten Mal: Es gibt sie hier!“ Ohne seine dominante Mutter in der Nähe gab sich Muschelstaub manchmal sehr erwachsen. Trotz allem, Dinas Laune hätte nicht besser sein können. Die Luft war erfüllt vom Summen der Bienen, die sich von Blüte zu Blüte schwangen – von süßen, wunderbaren Düften, die ihr ein zarter Wind um die Nase wehte. Die Farbenpracht ließ ihr das Herz aufgehen. Auch Joe schien vergnügt.
Federnden Schrittes lief er neben Dina her und pfiff eine
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