Fangonia (German Edition)
hoch. Auch Dina hatte sich taumelnd aufgesetzt. „Was ist denn? Es ist doch noch Nacht!“
„Es geht los! Es ist alles beschlossen. Beeilt euch, wir haben einen weiten Weg vor uns!“ Er knirschte leise mit den Zähnen. Muschelstaubs Gesicht blickte gleichzeitig besorgt und bestimmt. Er zog an Dinas Hand.
„Warte – was ist beschlossen? Wo gehen wir hin?“
Die Kinder konnten Muschelstaubs Worten nicht ganz folgen.
„Ich erzähle euch alles auf dem Weg, aber jetzt kommt endlich!“
Damit ließ er die Kinder stehen und wandte sich um zum Gehen. Dina und Joe schauten sich kurz an. Sie wollten am nächsten Tag eh ins Landesinnere aufbrechen. Mit Führung würde es leichter werden. Hastig griffen sie nach ihren Rucksäcken und folgten dem Wicht in die unbekannte Dunkelheit.
Als Dina sich ein letztes Mal zur Burg umdrehte, sah sie Glori und Sandfloh, angestrahlt vom Seesternlicht, am Fenster stehen. Glori machte eine ungeduldige Handbewegung in Richtung der Kinder, als wollte sie sie fortscheuchen. Sandfloh sah zerknirscht aus. Er stützte sein beleidigt dreinblickendes Gesichtchen in beide Hände. Warum hatte seine Mutter ihn das Riesenmädchen nicht behalten lassen? Warum hatte sie Muschelstaub geschickt, um den Auftrag zu erfüllen? Er war geeigneter dafür. Sein älterer Bruder war ein verweichlichter, hasenherziger Sandling. Das wusste doch jeder hier. Noch lange blickte er sehnsüchtig den drei Gestalten hinterher, bis die Nacht sie verschluckt hatte.
~ ~ ~
Muschelstaub war flink. Dina hätte seinem plumpen Körperchen eine solche Behändigkeit gar nicht zugetraut. Für einen Schritt von ihr, musste er drei machen. Dennoch zwang er sie und Joe zu einem strammen Tempo.
„Heraus mit der Sprache, Muschelstaub. Wohin gehen wir, und wieso konnten wir nicht warten, bis es hell wird?“ Joe wollte es jetzt endlich wissen.
„Es klappt nur in der Dunkelheit.“, rief Muschelstaub über seine Schulter. Sie waren jetzt eine ganze Weile hinter dem Sandling hergelaufen, ohne dass er auf ihre Fragen reagierte. Sie ließen einen Hügel nach dem anderen hinter sich. Je weiter sie gingen, desto mehr Gras wuchs aus dem sandigen Boden. Es fühlte sich frisch an, und kitzelte an den Füßen. „Muschelstaub“, riefen nun beide. Muschelstaub blieb plötzlich stehen. Er betastete die Luft, wie ein Pantomime.
„Also ist es doch wahr.“, murmelte er. „Die Grenze ist offen.“
Er kniff die Augen zusammen und spähte in alle Richtungen. Dina bezweifelte, dass er in der Dunkelheit irgendetwas erkennen konnte. Der Sichelmond spendete nur widerwillig blasses Licht.
„Also gut.“, rief er „Meine Mutter hat alles gut durchdacht. Die Abmachung, sie scheint nicht mehr richtig zu funktionieren. Ich soll sie holen… Sie, und noch etwas anderes.“ Ganz leise murmelte er den letzten Teil. Er schluckte. „Herr je, was ist das denn für eine Abmachung?“, riefen Dina und Joe. Muschelstaub warf ihnen einen Blick zu, der besagte: Das weiß doch jedes Kind!
„Hallo, wir sind nicht von hier, schon vergessen?“
„Ach ja. Richtig. Also, die Abmachung, das war Mutters Idee. Sie hat uns damit alle gerettet. Es ist das Regelwerk für alle Inselbewohner. Es wahrt unsere Reviergrenzen und sichert unsere Privatsphären. Jedes Volk auf dieser Insel hat sein eignes Reich, und dort hat es zu bleiben. Alle haben damals unterzeichnet. Dann wurde das Dokument mit einem Zauber belegt, der es jedem versagte, die Regeln zu ändern. Mama ist eine kluge Frau!“, setzte er ehrfürchtig hinzu, drehte sich um und lief weiter.
„Kommt, wir haben keine Zeit zu verlieren.“
„Halt, warte. Wo ist diese Abmachung, und warum müssen wir mit?“ Die Kinder hasteten hinter ihm her.
„Na, ihr habt uns das Ganze doch schließlich eingebrockt, oder? Warum taucht ihr einfach so an unserem Strand auf und stört unsere Ruhe? Ich werde bestimmt nicht alleine gehen. – Nicht ins Feuer…“, fügte er leise hinzu.
Der Sand knirschte zwischen seinen Zähnen. Es war seine Idee gewesen, die beiden mit auf die Reise zu nehmen. Zuerst wollte Glori sie am Strand behalten – zur Beobachtung. Dann fand sie es aber doch richtig, sie ihrem Sohn zur Begleitung mitzugeben. Der Junge sollte endlich beweisen, dass er die Tapferkeit und den Verstand seiner Mutter geerbt hatte! Doch letztendlich konnten Dina und Joe ihm vielleicht bei seiner Aufgabe behilflich sein. Schließlich wollte sie ihn wenigstens halbwegs lebendig einmal wieder sehen. Auch in
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