Fangschuss
geleistet hatte. Aber immerhin hatte ich eine Katze gesucht und gefunden, und ich war mir sicher, ich würde auch Philipp aufstöbern. Irgendwie.
Dienstag
Das Telefon schrillte ohrenbetäubend. Schlaftrunken blickte ich auf den Wecker. Sieben Uhr zweiunddreißig. Damit konnte ich überhaupt nichts anfangen. Meine Zeitrechnung begann frühestens um zehn. Ich zog das Kissen über den Kopf und verfluchte den Rufton, den ich endlich geändert hatte. Das frühere Summen hätte mich kaum geweckt. Aber ich wollte ja unbedingt ein detektivgerecht läutendes Telefon. Selber schuld. Das Klingeln verstummte, und einen Moment lang herrschte wohltuende Stille. Schon schlummerte ich wieder ein, als das Schrillen erneut begann. Entnervt schlug ich die Decke zurück.
»Herr Kummer, endlich!« Babsis jammernde Stimme bohrte sich in mein Ohr. Sie klang stark erkältet.
»Marie Antoinette ist verschwunden!«
»Aber das weiß ich doch. Deswegen war ich ja gestern bei Ihnen.«
»Nein, Sie verstehen mich falsch. Sie ist weg!« Sie schluchzte.
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff. Lüsternes Luder.
»Ich habe die ganze Nacht auf sie gewartet. Die ganze Nacht!«
»Auf mich?«
»Aber nein, auf die Katze natürlich!« Ein unterdrücktes Winseln drang aus dem Hörer.
»Frau Georget. Babsi, ich kann Ihnen versichern, Ihr Fall ist bei mir in den besten Händen.«
Verstohlen schielte ich zu Marie Antoinette hinüber, die immer noch schnarchend auf dem Sofa lag, die einbandagierte Pfote streckte sie dabei weit von sich. Unmöglich konnte ich sie heute schon zurückbringen. Zudem drängte die Suche nach Philipp. Ich musste Prioritäten setzen.
»Gott sei Dank! Haben Sie eine Spur?«
»Ich habe vage Hinweise, die ich verfolge. Ich werde Sie bald Näheres wissen lassen«, flunkerte ich.
»Ich singe die ganze Zeit Schutzmantras, damit Marie Antoinette nichts zustößt. Om navah shivaya, om, om, oooooooooohmmm… «
Ich legte das Telefon auf die Tischplatte und ging in die Küche, um Kaffee aufzusetzen. Als ich zum Tisch zurückkehrte, plärrte der monotone Singsang immer noch aus der Muschel. Ich hielt das Handy ans Ohr. »Sind Sie fertig?«
»Das nützt, glauben Sie mir.«
»Das werden wir sehen, wenn ich diesen chinesischen Schnellimbiss besucht habe.«
Ein abgewürgter Laut war zu hören, und ich beendete den Anruf. Ich goss mir eine Tasse Kaffee ein und pfiff gut gelaunt vor mich hin. Plötzlich hörte ich vom Sofa her ein widerwilliges Miauen. Ich drehte mich um und blickte in Marie Antoinettes zerknittertes Katzengesicht. Sie wankte vom Sofa und blieb dann stehen, mit Schlagseite wie ein kenternder Kahn. Ich stellte ihr eine Schüssel mit Wasser hin, über die sie sich gierig schlabbernd hermachte, und pfiff absichtlich laut weiter. Sie verzog sich wieder aufs Sofa, wo sie versuchte, ihren Kopf zwischen den Pfoten zu verstecken. Ich grinste. Keine Frage: Diese Mieze hatte einen Kater.
Noch war es kühl und schattig, doch die ersten Sonnenstrahlen schleppten sich bereits über Zinnen und Dachterrassen, bevor sie sich über vier oder fünf Stockwerke in die Tiefe fallen ließen. Die Dienerstrasse war menschenleer wie nach einer nuklearen Katastrophe oder wie in einem dieser Zombiefilme, in denen irgendein bösartiges Virus die gesamte Population dahingerafft hat. Ich pfiff weiterhin laut vor mich hin, nur um sicher zu sein, dass die gespenstische Stille tatsächlich existierte und ich nicht irgendwann auf dem Weg durchs Treppenhaus hinunter taub geworden war.
Ich ging am etwas zurückversetzten und unscheinbaren Eingang zur Zukunft vorbei, einem der momentan angesagtesten Klubs der Stadt. Gleich daneben lag die dazugehörige Bar 3000, wo man auch tagsüber einkehren konnte. Nichts deutete auf die Schlangen hin, die sich am Wochenende vor den unerbittlichen Türstehern bildeten, auf die Großmäuler und Kleingeister, die sich auf der Tanzfläche verrenkten, auf Transen und Triebgesteuerte, die sich an der Bar drängten, auf die mit glücklich machenden Pillen vollgestopften Mädchen, die frühmorgens elendiglich zusammengekrümmt und heulend auf dem Gehsteig saßen, und die Jungs, die sich aufgrund derselben Pillen in Filmen im Breitbildformat wiederfanden, großes Heldenkino natürlich, immer.
Ich bog in die Langstrasse ein. Ein einsamer Camion überholte mich ruckelnd, auf der Gegenfahrbahn fuhr mit leisem Staubsaugerrauschen ein Bus vorüber. Ansonsten war Zürichs Rotlichtmeile menschenleer. Erst bei
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