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Fangschuss

Fangschuss

Titel: Fangschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sunil Mann
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demnächst abgerissen werden sollte, um einem weiteren schicken Neubau Platz zu machen.
    Dilettantische Graffiti verzierten die gesamte Fassade. Der Schaukasten, der neben dem Eingang der St. Pauli Bar angebracht war und in dem vergilbte Fotos von halb nackten Frauen hingen, illustrierte, um was für eine Art Lokal es sich einst gehandelt hatte. Dieses hatten umtriebige Geschäftsleute jetzt, ohne große Veränderungen vorzunehmen – wenn man vom radikalen Rausschmiss der dort ihren Lebensunterhalt ertanzenden Damen absah −, zum hippen Klub umfunktioniert, und an den Wochenenden bildete das trendige Publikum, das gern in verruchter Umgebung ausging, ohne dabei mit dem Verruchten in Kontakt kommen zu wollen, lange Schlangen vor dem Eingang. Daneben befand sich ein brasilianischer Schnellimbiss, der sich auf Pao de Queijo, lauwarme Käsebällchen von gummiartiger Konsistenz, spezialisiert hatte.
    Für den zweiten Stock gab es nur eine Klingel. Ich drückte darauf und trat etwas zurück. Nichts regte sich. Ich blickte nach oben. Im ersten Stock waren alle Fensterläden geschlossen. Sie waren verwittert und mussten vor langer Zeit einmal grün gewesen sein. Im zweiten Stock stand ein einzelnes Fenster offen, leise drang Musik heraus. Ich klingelte erneut. Als sich immer noch nichts tat, zog ich entschlossen am Türgriff. Verschlossen. Natürlich, das war nicht unbedingt die Gegend, in der man Haustüren offen stehen ließ. Ratlos starrte ich auf das ausgeblichene Foto einer pummeligen Thailänderin, die sich in einem beschämend grobmaschigen Kleid räkelte. Ihre glänzenden Lippen standen weit offen, als kriege sie zu wenig Luft, glupschäugig ihr Blick, sie erinnerte mich an einen Koi, der sich hoffnungslos in einem Fischernetz verheddert hatte. Ich wollte mich schon abwenden, als plötzlich die Tür aufschwang. Die Frau, die heraustrat, schien etwas zittrig in den Knien zu sein, schwer atmend stützte sie sich an der Wand ab, als hätte sie es mit ihren Pilatesübungen übertrieben. Mit der überdimensionierten Sonnenbrille, die sie aufgesetzt hatte, wirkte sie wie ein riesiges Insekt, dazu trug sie einen fleckigen Trainingsanzug. Ihre Füße steckten in ausgelatschten Ballerinas, und die Schwerkraft war weder zu ihren Mundwinkeln noch zu ihrem Busen besonders nachsichtig gewesen. Ohne mich zu beachten, schlurfte sie an mir vorbei. Blitzschnell hinderte ich die Tür am Zufallen. Der Flur war düster, und ich tastete nach dem Lichtschalter, worauf weiter oben eine altersschwache Glühbirne aufflackerte. Es roch nach gekochten Bohnen und süßlichem Parfüm, eine grobe Kokosmatte bedeckte die Stufen, die Wände waren rissig und rotbraun angemalt. Ich stieg die Treppe hinauf in den zweiten Stock und klingelte erneut. Es blieb still, die Klingel musste defekt sein. Ich klopfte an die Tür und horchte mit angehaltenem Atem. Nichts. Vorsichtig drückte ich die Türfalle hinunter. Nicht abgeschlossen. Als ich den Gang betrat, schlug mir Kaffeegeruch entgegen.
    »Hallo!«, rief ich, doch ich erhielt keine Antwort. Gegenüber der Eingangstür befand sich das Badezimmer. Ein übervoller Aschenbecher stand neben dem Klo, an einem orangefarbenen Ständer hing Wäsche, und die Fensterscheiben waren verschiedenfarbig angemalt, sodass die hereindringenden Sonnenstrahlen den Raum in verwirrend buntes Licht tauchten. Wahrscheinlich hatte irgendwann mal eine Kindergärtnerin in der WG gewohnt. Am Ende des langen Ganges nahm ich eine Bewegung war und zuckte zusammen, erst dann bemerkte ich, dass dort ein mannshoher Spiegel hing. Das nächste Zimmer war ebenfalls leer bis auf ein zerwühltes Bett und ein paar Kleider, die unordentlich am Boden herumlagen. Musik erklang von irgendwoher, ich erkannte die wispernde Stimme einer dieser mädchenhaften Sängerinnen, die sich selbst auf der Gitarre begleiteten, kulleräugig vom CD-Cover glotzten und stets derart unglücklich und verloren klangen, dass man sie am liebsten an sich drücken und immer wieder in ihr langes, frisch gewaschenes Haar flüstern würde, dass es schon okay sei und alles gut werde.
    Ein leises Klirren, das vom anderen Ende des Korridors zu kommen schien, ließ mich dem Geräusch folgen, und als ich vorsichtig um die Ecke guckte, saßen da zwei Burschen am Tisch. Ein Mädchen stand am Herd und wartete offensichtlich darauf, dass der Kaffee kochte.
    »Morgen«, sagte sie, ohne aufzublicken, einer der Jungs grunzte etwas Unverständliches. Sie waren wohl gerade erst

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