Fantastik AG
militärischen Organisation zu halten.
Jetzt machte er noch einen abendlichen Kontrollgang, der ihn auch in
die Wachstube des Kraftwerks führte.
Auf den Anblick, der sich ihm bot, als er die Tür zur Wachstube
öffnete, war der Oberfeldwebel nicht vorbereitet gewesen.
Gefreiter ReiÃnagel und Gefreiter Knochenbrecher, die diensthabenden
Wachsoldaten, saÃen, ihm den Rücken zuwendend, vor dem Wunderspiegel, in dem
irgendein Wichtel ein süÃliches Lied sang, und sie achteten nicht im Geringsten
auf die Bildschirme der Ãberwachungskameras und â das war das Wichtigste: Sie salutierten nicht!
»Was zum schwefelfurzenden Dämonenfürsten geht hier â¦Â«, bellte Rückgratstaucher.
»Schhhh!«, zischten die Gefreiten ReiÃnagel und Knochenbrecher,
und der Oberfeldwebel war einen Moment lang so überrascht, dass er wirklich
verstummte.
Und dann explodierte er.
»Kriegsgericht! Insubordination!«, geiferte er. »Degradieren!
Aufhängen! Der gröÃte Saustall, der mir je untergekommen ist! Es wird
salutiert, wenn ein Vorgesetzter den Raum betritt! Das ordnungsgemäÃe
Salutieren ist moralische Grundlage, letztes Ziel einer jeden â¦Â«
»Wir würden das hier wirklich gerne sehen«, unterbrach Gefreiter
Knochenbrecher.
»Dieser Wichteljunge ist das gröÃte Stimmwunder des Jahrtausends«,
sagte Gefreiter ReiÃnagel gerührt. Eine Träne rann seine wettergegerbte
Koboldwange hinab.
»Und wir salutieren nicht, wegen der Fesseln«, erklärte
Knochenbrecher.
»Fesseln? Wieso Fesseln?!«, schrie der Oberfeldwebel auÃer
sich.
Und jetzt erst merkte er, dass die beiden an ihre Stühle gefesselt
waren.
Und nun explodierte er wirklich.
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»Halt! Nehmt mich wieder mit zurück!«
Doch fort warâs Schiff schon, oh Unglück!
Heldchen stand am dunklen Meer,
Und das Herze ward ihm schwer.
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Hub ganz kläglich an zu klagen,
jämmerlich auch zu verzagen,
flucht, dass Torheit ihn gesandt,
ins kalte schlimme Riesenland.
Theodor Welk referierte. Es war der mit Abstand
engagierteste Vortrag seiner bisherigen akademischen Laufbahn, und auch der am
schnellsten gesprochene. Virtuos verband er Symbolische
Energetik mit Phantastischer Psychologie, bewegte sich souverän
interdisziplinär zwischen Imaginärer Politischer Theorie und Virtueller
Mythosanalyse hin und her, integrierte FuÃnoten in seinen mündlichen Vortrag
und zitierte ganze Passagen aus einem Aufsatz mit dem Titel âºHomur der Riese
oder das ungezügelte Subjekt.⹠Er weihte den Professor in ihren gesamten Plan
ein, und dabei hatte er die ganze Zeit das Gefühl, in ein schwarzes Loch zu
sprechen.
Als er fertig war, folgten einige Augenblicke des Schweigens.
Dann hörte Theodor seinen Dozenten über Funk sagen: »Ja, sehr
schön, Herr ⦠äh ⦠ich würde dann jetzt gern weiter wunderspiegelsehen.«
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Sprach da eine Donnerstimm:
»wer stört meine Ruhe schlimm,
mit Gewimmer und Geheule,
Schreien und Gejäule?«
Professor Welk widmete seine ungeteilte Aufmerksamkeit
wieder dem Wunderspiegel. Dieser Wichtelknabe sang wirklich superschön.
Irgendwie kam er ihm auch bekannt vor, und hatte nicht Herr ⦠äh ⦠gesagt, er
sei eigentlich ein Riese, Homur der Riese? Na ja, wenn er meinte, aber
eigentlich konnte er sich auch entfernt an einen Aufsatz mit dem Titel âºHomur der
Riese oder das ungezügelte Subjekt⹠erinnern, und den sollte er selbst
geschrieben haben? Etwas knirschte im Gehirn des Professors, wie ungeölte,
eingerostete Zahnräder, die sich nach langer Zeit des Stillstands zögerlich
ruckend eine Zehnteldrehung weiterbewegten. Was war das denn gewesen? Hatte
er ⦠wie war das Wort noch ⦠ähm ⦠na, sag schon gleich ⦠ja: gedacht? Hatte
er gedacht? Er wollte nicht denken. Man hatte ihn davor gewarnt. Es fühlte
sich auch unangenehm an. Er wollte sich entspannen, zerstreuen.
Er konzentrierte sich auf den Wunderspiegel.
Der Wichtelknabe sang engelsgleich.
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Und die Erd fing an zu beben,
und was Berg zu sein schien eben,
wuchs und wuchs und reckt die Glieder:
Ein Riese war´s, Gurnatolider!
Was ihm der junge Mann Herr ⦠äh, Welk? Hieà er nicht Welk ? Und war das nicht â komischer Zufall â auch sein
eigener Name, Hieronymus C. Welk, Professor für ⦠Dings ⦠äh, egal,
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