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Fantastik AG

Fantastik AG

Titel: Fantastik AG Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Oldenburg
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hervorspähend, beobachteten Theodor und der
Professor die einäugigen Riesen, die allem Anschein nach mit den Vorbereitungen
für ihr Mittagessen beschäftigt waren. Zwei von ihnen entfachten ein Feuer, ein
anderer kam gerade mit einem langen Bratenspieß unter dem Arm aus der Höhle,
ein vierter schärfte ein großes Messer. Insgesamt zählte der Student sieben
Zyklopen (und das waren nach seiner Rechnung exakt sieben zu viel). Es waren
grobe, ungeschlachte Kerle, die Westen aus Schafsfell trugen und sich mit
einsilbigen, kehligen Lauten untereinander verständigten. Eralkes war nicht zu
sehen, vermutlich befand er sich in der Höhle.
    Â»Okay«, flüsterte der Student, »ich würde sagen, es ist ziemlich
aussichtslos. Sieben gegen anderthalb. Aber immerhin: Ein tolles Erlebnis.
Zyklopen in ihrem natürlichen Habitat. Oder wie das heißt. Unvergesslich. Also
gut, gehen wir, Professor. Professor? Oh … nein!«
    Nicht weit entfernt von Theodors Versteck stand die Gnomengestalt
seines Dozenten im hellen Sonnenschein, unbekümmert den Zyklopen zuwinkend.
    Professor Welk rief: »Agh Rugur Trok Nu Schrou!« (Was im nahezu
akzentfrei gesprochenen Dialekt der Nördlichen Zyklopen so viel bedeutete wie:
Kommt, holt euch die kleine Mahlzeit für zwischendurch!)
    Dann beschleunigte der Professor – offensichtlich mit magischer
Unterstützung – in Sekundenbruchteilen von null auf vierzig Stundenkilometer.
Nach kurzer Zeit stoppte er und winkte den Zyklopen noch einmal aufmunternd zu.
    Die sahen den Dozenten an. Sie sahen einander an. Sie griffen nach
ihren Keulen und machten sich mit grausigem Gebrüll an die Verfolgung des
Professors.
    Theodor blieb allein zurück.
    Er stand an einem Wendepunkt in seinem Leben, und wie an seiner
bisherigen, durch ein hohes Maß an Phlegma ausgezeichneten Biografie nicht
allzu schwer abzulesen ist, hasste er Wendepunkte.
    Er zog es vor, die Ereignisse langsam auf sich zukommen zu lassen.
    Und er wusste es sehr zu schätzen, wenn diese Ereignisse nicht in
einer mit hundertachtzig Sachen heranrauschenden Riesenkeule bestanden, die von
einem trollfressenden Zyklopen geschwungen wurde.
    Denk nach, dachte er, an seinen Nägeln kauend, denk nach, Theodor.
    Sollte er, wie es höher entwickelten Lebewesen mit mehr als
dreieinhalb rudimentär vernetzten Synapsen und intaktem Selbsterhaltungstrieb
geziemte, sich seines Verstandes bedienen und sich, wo ohnehin nichts
auszurichten war, klug aus der Gefahrenzone zurückziehen? Oder sollte er sich
wie ein kompletter Idiot verhalten und sehenden Auges geradewegs in seinen
eigenen Tod und Untergang marschieren und den hoffnungslosen Versuch auf sich
nehmen, den psychopathologischen Grenzfall, der sich Eralkes, der Unbesiegte
nannte, zu retten?
    Andererseits konnte man die Frage natürlich auch so formulieren:
Sollte er sich feige davonstehlen und Eralkes kaltblütig seinem Schicksal
überlassen, oder war es nicht geradezu seine Pflicht als empathiefähiges,
moralisch handelndes Wesen, auch und gerade auf die Gefahr hin,
tragisch-heroisch zu scheitern …
    Der Student stöhnte.
    Entscheidungen …
    Â»Phantastisch!«, dachte der Professor, »ich müsste mir
Notizen machen.«
    Fasziniert beobachtete er das Jagdverhalten der Zyklopen. Dass er
selbst in diesem Fall der Gejagte war, gefährdete seine wissenschaftliche
Unbefangenheit kaum. Korms Kleiner Geschwindigkeitsbonus, den der
zaubermächtige Dozent gleich zu Beginn auf sich selbst angewandt hatte, wirkte
hervorragend. Ab und zu ließ er die Zyklopen ganz nah an sich herankommen und
vergrößerte den Abstand dann wieder nach Belieben.
    Es war ein großer Tag für die Phantastische Forschung.
    Â»Warum habe ich nicht Betriebswirtschaftslehre
studiert«, dachte Theodor, »oder Jura, so wie es meine Mutter gewollt hat.«
    Es hatte ihn einiges an Überwindung gekostet, sich in den unheilvoll
und finster gähnenden Höhleneingang zu wagen. Jetzt schlich er geduckt durch
düstere Gänge und fühlte sich unglücklicherweise überhaupt nicht heldenhaft,
sondern eher wie jemand, der gerade etwas unsagbar Dämliches tut. Vielleicht,
dachte er, ist das ja die Definition von Heldentum: gegen jede Vernunft
unsagbar Dämliches zu tun. Auf Eralkes passte das jedenfalls genau.
Heldenhaftes Verhalten schien eine alternative Protestveranstaltung gegen den
gesunden Menschenverstand zu

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