Farben der Schuld
Fliesen und Instrumente noch sauber sind, schafft es kein Putzmittel der Welt, den Geruch des Todes gänzlich zu eliminieren.
Manni gesellt sich zu Ralf Meuser, der spitzmäusig aussieht und neben dem Staatsanwalt am Fußende des Obduktionstisches Position bezogen hat.
»Niemand im Dekanat des Erzbistums kann ihn identifizieren«, sagt Meuser statt einer Begrüßung.
»Also ist er kein Priester.«
»Jedenfalls keiner aus der Kölner Region.«
»Oder sie lügen.«
Meuser verdreht die Augen. »Was ist mit den Vermisstenmeldungen?«
»Nada. Immer noch niemand, der auf ihn passt.«
Einmal mehr meldet sich Mannis Handy, zum sicher ein-hundertsten Mal an diesem Tag.
»Ein Botschafter des Kardinals sitzt in meinem Büro«, verkündet Holger Kühn.
»Und? Kennt er den Toten?«
Der stellvertretende Leiter des KKII schnaubt. »Der Kardinal ist in allergrößter Sorge. Die Priester haben Angst. Die Sache kocht hoch. Wir brauchen Ergebnisse.«
»Ja«, sagt Manni. »Wir sind dran.«
Ekaterina Petrowa leitet die Leichenschau, ihr Chef Karl-Heinz Müller hat die Rolle des Assistenten übernommen. Der Dritte im Bunde ist der Präparator, ein Rechtsmediziner, den Manni nicht kennt, doch die routinierte Art, mit der er Instrumente und Knochensäge bereitstellt, zeigt deutlich, dass er sein Handwerk beherrscht und gern ausübt. Der Tote liegt auf dem Rücken, noch voll bekleidet mit schwarzer Soutane, Hose und Schuhen, seine Gesichtshaut wirkt im Kontrast dazu kalkig weiß. Die Petrowa beginnt den Obduktionstisch zu umkreisen, konzentriert wie ein Bluthund, der Witterung aufnimmt. Ein Hauch Parfumduft weht hinter ihr her und sie hat noch mehr von dem silbrigen Lidschatten aufgelegt, er glitzert im kalten Licht der Lampen, wenn sie sich über den Leichnam beugt, ihn betastet, sich wieder aufrichtet, einen Schritt weitergeht und dabei in ihr Diktiergerät nuschelt. Ihre Lippen sind grellrot geschminkt und ihre Füße stecken in farblich exakt dazu passenden Gummistiefeln. Sie muss sie aus eigener Tasche finanziert haben, um selbst im grünen Arbeitsornat einen modischen Akzent zu setzen, denn mit ihren hohen Keilabsätzen zählen diese knallroten Galoschen wohl kaum zur Standardausrüstung des rechtsmedizinischen Instituts.
»Etwas stimmt nicht mit ihm.« Die Petrowa bleibt vor Manni stehen und sieht ihn an, als erwarte sie eine erhellende Auskunft von ihm. Doch damit kann er nicht dienen, also begnügt er sich mit einer Gegenfrage.
»Was meinst du?«
Ekaterina Petrowa schließt die kohlschwarzen Augen, öffnet sie dann gleich wieder mit einem Blick wie von weit her.
»Ich weiß es nicht.« Unwillig schüttelt sie den Kopf. Sie mag Ergebnisse, Fakten, Analysen, sie verbirgt ihre Gefühle und spricht nicht gern von Zweifeln, so viel hat Manni in den zwei Monaten, die sie nun hier ist, über sie gelernt. Nur ein einziges Mal hat er sie außer sich gesehen, in jener Nacht, als ihr Katzenvieh verschwunden war und alles schiefging und Judith beinahe gestorben wäre. Schattenkampf. Wir haben zu wenig und zugleich viel zu viel, denkt er einmal mehr. Zu wenige Fakten und zu viele Befindlichkeiten, jetzt schon, dabei ist noch nicht mal klar, wer der Tote ist. In Mannis Hosentasche meldet das Vibrieren seines Handys den Eingang einer SMS. Die russische Rechtsmedizinerin bekreuzigt sich und beginnt, die Knopfleiste der Soutane zu öffnen, sehr sorgfältig, Knopf um Knopf.
»33 Knöpfe«, sagt Ralf Meuser leise. »Das ist der Standard. Für jedes Lebensjahr von Jesus einen.«
Niemand erwidert etwas. Alle sehen den Händen der Petrowa zu. Und auch wenn die Szene nichts Sexuelles hat, denkt Manni unwillkürlich an Sonja, ihren Geruch und ihre Wärme. Den Moment, wenn ihr Atem plötzlich schneller geht. Er fischt sein Handy aus der Hosentasche: Judith Krieger ist nicht mehr im Krankenhaus und will mit ihm essen gehen. Heute noch, bald.
»Wann? Wo?« simst er zurück und überlegt, was ihr wohl für Gründe einfallen würden, die katholische Kirche zu hassen. Abtreibungsverbot, Verhütungsverbot, keine Karrierechancen für Frauen … Er grinst. Sogar die feministischen Grundsatzpredigten der Krieger erscheinen in diesem Fall hilfreicher als Meusers klerikales Geschwafel. Die Krieger und ich sind ein Team, denkt er. Trotz aller Reibereien sind wir zu dem Team geworden, das Millstätt wollte. Und nun steht auf einmal ihr Verbleib im KK n auf dem Spiel. Sogar mich wollen sie noch mal vernehmen, einmal mehr alles hochkochen, diese ganze
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