Farben der Schuld
sagen.
Draußen ist es noch dunkel, die Beleuchtung im Treppenhaus summt leise. Die Wärme bringt die Müdigkeit zurück und jagt beinahe schmerzhaft in Hände und Gesicht. Manni betätigt den Lichtschalter in Röttgens Flur. Unzählige Male hat er in den letzten Jahren Wohnungen durchsucht. Täterwohnungen. Opferwohnungen. Manche waren ordentlich, manche chaotisch. Einige waren geschmackvoll eingerichtet, andere billig. Werden sie hier gleich etwas finden, das sie weiterbringt? Vielleicht ist das ja gar nicht möglich, weil es gar nicht um Georg Röttgen geht, genauso wenig wie es dem Täter um die Person Jens Weiß gegangen ist. Vielleicht haben sie es tatsächlich mit einem Mörder zu tun, der mit der katholischen Kirche abrechnen will. Dieser Gedanke reicht aus, jegliche Erschöpfung zu ignorieren.
Es riecht ungelüftet in Röttgens Wohnung, nicht wirklich schlecht, aber die Luft wirkt abgestanden, zäh, beinahe greifbar. Der Flur ist winzig und mit einem Schuhregal, einem schmalen Spiegel und einer Wandgarderobe möbliert.
»Der heilige Georg trägt als Symbol ein Schwert«, sagt Meuser in Mannis Rücken.
»Und was bedeutet das für deine Theorie vom alten Albanus?«
»Ich weiß es nicht.« Meuser seufzt, offenbar selbst irritiert von der Widersprüchlichkeit seiner Theorien.
Sie machen einen ersten Rundgang, verschaffen sich einen Überblick. Röttgens Wohnung ist etwa 70 Quadratmeter groß und besteht aus Küche, Bad, Wohnzimmer, Schlafzimmer und dem Flur. Auf dem Anrufbeantworter befindet sich lediglich eine belanglose Nachricht von der Telefonseelsorge. Im Telefon sind keine Nummern gespeichert, Terminkalender oder Handy sind auf den ersten Blick nicht zu sehen. Manni atmet ein, versucht diesen Geruch zu definieren. An irgendetwas erinnert der ihn und was auch immer das sein mag, es ist nicht angenehm. War der Täter jemals in dieser Wohnung, gibt es eine persönliche Verbindung zwischen ihm und dem Priester? Wir werden hier etwas finden, denkt Manni. Es muss einfach so sein.
Immer noch kann er nicht sagen, nach was es hier riecht. Vielleicht ist es einfach nur Einsamkeit. Einsamkeit, Frust oder Staub. Wer stand Georg Röttgen nah und wird um ihn trauern? Irgendjemanden werden sie gleich benachrichtigen müssen. Irgendjemand wird dann vielleicht zu weinen beginnen und den Glauben an Gott verlieren, so wie Nora Weiß.
Sie fangen mit dem Schlafzimmer an, sparen sich den Wohnraum mit den hohen Bücherregalen und dem schweren Eichenholzschreibtisch fürs Ende auf. Die dunkelblauen Gardinen des Schlafzimmers sind zugezogen, das schmale Bett ist ordentlich gemacht, der Heizkörper ist abgedreht. Viel mehr gibt es hier nicht, nur einen Nachttisch und einen Kleiderschrank aus dunklem Holz. Ein Kruzifix am Fußende des Betts ist der einzige Wandschmuck. Die Nägel in Händen und Füßen des Gottessohns sind detailliert zurechtgeschnitzt, sein Gesichtsausdruck ist wie gewohnt duldsam und leidend. Kein sehr erhebender Anblick, wenn man damit einschläft und aufwacht, doch vermutlich hat Röttgen das anders empfunden. Auf dem Nachttisch liegt eine Bibel. Manni schlägt sie an der Stelle auf, die ein Lesebändchen markiert:
»Psalm 51, Bußpsalm: Reue und Umkehr« lautet die Überschrift des ersten Absatzes. Manni überfliegt die darunter stehenden Zeilen. »Sieh doch, in Sünde wurde ich geboren … Verbirg dein Antlitz vor meiner Schuld …«
Sünde – Schuld – Mord. Wortlos hält er Meuser die aufgeschlagene Bibel hin und zieht die Schublade des Nachtschränkchens auf. Sie enthält zwei Pakete Papiertaschentücher, Nasentropfen, Salbeipastillen und eine angebrochene Packung Aspirin. Auch Georg Röttgens Kleiderschrank hat nichts Aufregendes zu bieten. Schwarz ist die dominierende Farbe der Kleidungsstücke, einige Hemden und Pullover sind grau beziehungsweise braun. Nur die Unterwäsche ist weiß und stammt definitiv nicht von BOSS. Röttgen bevorzugte labellose Boxershorts, was auch immer das über ihn aussagen mag.
»Der reinste Musterknabe.« Manni klappt den Kleiderschrank wieder zu.
»Der Mann war Priester. Was erwartest du?« Meuser legt die Bibel zurück auf den Nachttisch.
»Kinderpornos. Kondome. Reizwäsche. Liebesbriefe …«
Der Kollege verdreht die Augen und geht über den Flur in die Küche. Manni folgt ihm, lehnt sich in den Türrahmen. Auch dieser Raum ist spartanisch eingerichtet und tadellos aufgeräumt, auch hier ist die Heizung abgedreht, auch hier hängt ein Kruzifix an der Wand,
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