Farben der Schuld
zusammengebissenen Zähnen. Endlich. Quälend langsam erwacht das Mobiltelefon wieder zum Leben.
Manni tippt die Nummer der Einsatzzentrale, angelt in dem Klamottenhaufen nach seiner Unterhose, während er die Ansage des Kollegen abhört. Wieder ein Toter. Wieder vor einer Kirche. Direkt neben dem Priesterseminar. Auch der Wohnsitz des Kardinals ist nicht weit entfernt.
Serienmord. Nein, Quatsch, reiß dich zusammen. Das steht noch nicht fest. Mannis Schritte hallen im Treppenhaus, die Haustür schlägt hinter ihm zu, er bleibt stehen, scannt die Straße, registriert halbbewusst die feuchtkalte Nachtluft, die nach Regen riecht. Wo hat er vorhin geparkt? Einen Moment lang ist er orientierungslos und weiß nicht einmal mehr, mit welchem Fahrzeug er zuletzt unterwegs war. Dann kommt die Erinnerung zurück und sein Körper setzt sich in Bewegung, schließt den Wagen auf, startet ihn.
Er fährt schnell, auf den Ring, dann auf die Nord-Süd-Fahrt. Kurz vor dem Priesterseminar erhascht er beim Abbiegen einen Blick auf die Turmspitzen des Doms. Grau und kolossal, zwei stoische Zeugen, die nach ein paar Metern Fahrt aus seinem Sichtfeld verschwinden. Kurze Zeit später erreicht er den Tatort, parkt neben den Einsatzfahrzeugen und springt aus dem Wagen.
Der Tote liegt tatsächlich direkt vor der Kirche des Priesterseminars. Maria-Ablaß-Platz. Das rotierende Blaulicht der Polizeiautos illuminiert das Straßenschild. Einer der Uniformierten rennt auf Manni zu und will mit ihm diskutieren, ein blutjunger Polizeimeister, aber Manni schiebt ihn einfach beiseite und starrt auf den Toten.
Er liegt auf dem Rücken, die Arme sind ausgebreitet, der Blick ist leer. Am Hals kann Manni den Priesterkragen erkennen. Auf dem Pflaster klebt Blut. MÖRDER. Wieder hat der Täter seine Botschaft in roten Lettern neben sein Opfer gesprayt. Das Ganze ist ein verdammtes Dejà-vu.
»KOB Korzilius?« Der Babyface-Kollege zupft ihn am Ärmel. »Der Mann, der uns verständigt hat, sagt, er kenne den Toten. Er ist ein Priester.«
»Der Tote oder der Zeuge?«
»Beide.«
Serienmord, denkt Manni. Also tatsächlich. Meuser hat recht. Irgendein Irrer hat es auf die Kirche abgesehen.
Es beginnt zu regnen, nein, regelrecht zu schütten. Zwei Uniformierte ziehen hektisch eine Plane über den Toten. Eine Windböe weht sie sofort wieder hoch.
Viel werden die Spurensicherer hier nicht mehr zu tun bekommen. Manni flucht.
3. Teil
»Meine Seele möchte lieber ersticken,
lieber den Tod als diese meine
Schmerzen.«
Hiob 6, 15
Wann wird aus Traurigkeit Wut? Wann wird Verzweiflung zu Hass? Die verlorene Liebe schmeckt bitter auf ihrer Zunge und verklumpt ihren Magen. Die Leichtigkeit stirbt, ihr Körper schwillt an. Wieder stiehlt sie sich zu ihm, klopft an seine Tür, bettelt und fleht. Geh! Bitte, geh, fordert er, sobald er sie sieht.
Aber hinter der Kälte und Wut in seinen Augen liest sie jetzt noch etwas anderes, etwas, das sie so nie erwartet hat. Angst vielleicht. Angst vor ihr? Du wirst mich vernichten, flüstert er. Du wirst mein Leben zerstören. Ist es das, was du willst, ja? Mich leiden sehen, mir alles nehmen, so dass mir nur noch ein Weg bleibt, der letzte Weg?
Ihre Schuld, es ist ihre Schuld, wenn er sie nicht mehr liebt. Sie hat ihn verführt, hat seine Grenzen nicht respektiert. Sie hat nicht zugehört, was er ihr sagte, weil sie so verliebt war, so blind. Rasend vor Liebe. Es tut so weh und hört nicht auf. Warum nur hat sie ihn kennengelernt?
Samstag, 25. Februar
Der zweite Mord. Das zweite Opfer. Dieselbe Tatwaffe und dieselbe Botschaft: Mörder. Sie ermitteln jetzt auf einem anderen Level. Eine fiebrige Energie hat sie durch die Nacht getragen, immer verbissener haben sie im strömenden Regen nach einem Anhaltspunkt gesucht: einer brauchbaren Spur, einem Zeugen, irgendetwas. Vergebens bislang. Nur die Identifikation ging diesmal schnell über die Bühne. Georg Röttgen war Leiter der katholischen Telefonseelsorge, 53 Jahre alt, 1,82 Meter groß.
Manni streift frische Booties und Handschuhe über und schließt Röttgens Wohnungstür auf. Der Priester wohnte in der Kardinal-Frings-Straße, nur wenige hundert Meter vom Tatort entfernt. War er auf dem Weg zu seiner Wohnung, als sein Mörder zuschlug oder hatte er sie gerade verlassen? War er an der Maria-Ablaß-Kirche mit seinem Mörder verabredet? Sie wissen es nicht und auch der junge Priesterschüler, der Röttgen fand und die Polizei verständigte, vermag dies nicht zu
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