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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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weiß das, Ruth, ich weiß das sehr wohl. Ihr wart nicht glücklich mit ihm. Doch glaub mir das bitte: Das alles hat nichts mit dem Mord zu tun und es hätte sich bestimmt bald zurechtgerückt.«
    »Er war so seltsam in der Nacht vor seinem Tod.«
    »Du hast ihn gesehen?«
    »Er platzte hier herein, ganz außer Atem, und befahl mir das Licht anzuschalten.«
    »Er konnte manchmal ein bisschen ruppig sein«, sagt Hartmut Warnholz.
    »Und kurze Zeit später kam dieser Anruf. Ein Drohanruf. ›Ich bring dich um, du Schweina«
    »Ging der Anruf auf seinem Büroanschluss ein?«
    »Nein, beim Beratungstelefon.«
    »Dann solltest du das nicht überbewerten. Du weißt doch, dass wir solche Anrufe immer wieder erhalten.«
    »Ja, ich weiß. Aber einen Tag später war Röttgen tot. Wenn der Anrufer nun doch sein Mörder war?«
    Der Seelsorger nickt. Nachdenklich. »Ich nehme deine Sorge sehr ernst, sie ist sicher berechtigt«, sagt er schließlich. »Aber wir dürfen dennoch nichts überstürzen. Es ist ein großer Schritt, die Polizei um die Aufhebung der Anonymität unserer Anrufer zu bitten. Das darf nur im äußersten Notfall geschehen.«
    Der äußerste Notfall. Meist heißt das, dass sie versuchen, einen Suizid zu verhindern, den ein verzweifelter Anrufer ankündigt. Doch wenn ihnen jemand ein bereits geschehenes Verbrechen gesteht, sind sie verpflichtet zu schweigen. Vertraulichkeit ist die Grundvoraussetzung der Telefonseelsorge. Die Last, die die Anrufer ihnen auf die Schultern laden, müssen die Mitarbeiter zu tragen lernen.
    »Ich werde eine Lösung finden, Ruth, ich kümmere mich darum.« Wieder ergreift Hartmut Warnholz ihre Hand. »Du siehst müde aus, schaffst du denn deine Nachtschicht jetzt oder soll ich für dich übernehmen?«
    »Nein, nein, das ist kein Problem.«
    Ruth kocht sich eine Kanne Tee und geht ins Beratungszimmer, wo Marianne soeben zusammenpackt. Sie zündet die Kerze an und setzt sich an ihren Platz. Als der erste Anruf eingeht, zwingt sie sich, sich nur auf die Stimme am anderen Ende der Leitung zu konzentrieren und winkt Hartmut Warnholz und Marianne nebenbei einen Abschiedsgruß zu. Es ist gut, anderen helfen zu können, es gibt ihr Halt und ist ihr Talent. Das, was sie auf dieser Welt am allerbesten kann. Doch nach dem ersten Anruf bleibt das Telefon heute still und die Zeit scheint zu schleichen. Sogar das Ticken der Wanduhr im Büro nebenan kann Ruth auf einmal hören. Sie steht auf und schaltet das Licht im Eingangsbereich ein. Sie geht zur Toilette und über prüft, ob Hartmut Warnholz die Eingangstür auch wirklich abgeschlossen hat.
    Die nächtliche Stille erscheint ihr heute lauter als sonst. Obwohl sie todmüde ist, ist an Schlaf nicht zu denken. Es ist, als ob sie auf etwas warte, nein, als ob sie schon wisse, dass in dieser Nacht noch etwas geschehen wird. Ich hätte mutiger sein sollen, denkt sie. Ich hätte darauf bestehen sollen, selbst mit der Polizei zu sprechen. Aber womöglich hätte sie der Telefonseelsorge dann geschadet und die Chance auf eine Festanstellung verspielt? Unter Georg Röttgen hatte sie diese Hoffnung schon aufgegeben, doch jetzt, mit Hartmut Warnholz, sieht das ganz anders aus. Er schätzt mich, denkt Ruth. Er mag mich. Er weiß, wie sehr ich eine bezahlte Arbeit brauche.
    Sie tritt ans Fenster und schaut in die Dunkelheit. Am Ende des Parks liegen die Gebäude des Priesterseminars, im Sommer sind sie von hier aus gar nicht zu sehen. Doch im Winter glimmt nachts hin und wieder das Licht aus einem der Zimmer im ersten Stock durch die kahlen Kronen der Bäume, auch jetzt ist das so. Was derjenige, der jetzt dort drüben wach ist, wohl gerade tut? Beten? Studieren? Oder sieht er zu ihr herüber und freut sich über den Lichtschein aus ihrem Fenster, weil er sich in der schlafenden Stadt genauso allein fühlt wie sie?
    Das Klingeln des Telefons bringt das Gefühl von Bedrohung zurück. Auf einmal wünscht Ruth sich, dass es wieder verstummt.
    »Telefonseelsorge, guten Morgen.«
    Nichts. Stille. Sie packt den Hörer fester. Die Stille ist nicht absolut. Sie kann etwas in dieser Stille hören. Jemand atmet am anderen Ende der Leitung. Ein Mann? Ja, ein Mann.
    »Hallo?«
    Die Angst überwältigt sie, lähmt sie, zwingt sie dazu, immer weiter in diese Stille zu horchen. Er ist ganz nah! Beinahe glaubt sie, den fremden Atem auf ihrer Wange zu spüren. Sie will den Hörer wegwerfen, weglaufen, schreien, doch sie kann sich nicht rühren. Nur ihre Gedanken rasen und

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