Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
Vom Netzwerk:
Garderobe. Die Bewegungen kosten sie Kraft. Kraft, die sie nach diesem Tag eigentlich nicht mehr hat. Immer noch fühlt sie die indiskreten Blicke des blonden Kommissars auf sich. Er hat sie angesehen, als halte er sie für eine Lügnerin, nein, schlimmer noch, als mache er sie, Ruth, für die Morde verantwortlich, oder sei zumindest überzeugt, sie kenne den Täter. Und dann ihre Tochter … Ich bin krank, Mami, ich hab mich wirklich nicht betrunken, hat Bea behauptet, als der Kommissar längst wieder gegangen war und sie endlich zu sich kam. Mami hat sie tatsächlich gesagt – so wie in alten, glücklichen Zeiten. Doch schon Ruths erste vorsichtige Frage nach Georg Röttgen brachte die alte Feindseligkeit zurück. Was hatte sie denn auch erwartet? Dankbarkeit, weil sie die Kotze ihrer Tochter aufwischt und sich schützend vor sie stellt? Dankbarkeit gibt es nicht mehr von ihrer Tochter, nicht seit ihre Freundin Jana gestorben ist.
    »Ruth, da bist du ja.«
    Sie fährt herum, sie hat Hartmut Warnholz nicht kommen gehört und die tiefen Falten, die sich scheinbar über Nacht in sein Gesicht gegraben haben, erschrecken sie noch mehr.
    Es ist noch Zeit, bis ihr Telefondienst beginnt und sie hatte gehofft, den Seelsorger hier zu treffen, gesteht sie sich ein.
    »Komm.« Ganz leicht legt er seine Hand auf ihre Schulter und führt sie in ein leeres Büro.
    Er hat seinen besten Freund verloren und trotzdem ist er noch fürsorglich zu ihr. Und sie? Sie kreist um sich selbst. Sie zweifelt an ihrer Tochter, sie zweifelt an Gott und sie tötet seine Geschöpfe. Schamröte steigt ihr ins Gesicht, als sie an ihre Giftattacke auf die unschuldigen Heuschrecken denkt. Scham und zugleich eine unerklärbare Wut.
    »Gott erlegt uns immer wieder Prüfungen auf«, sagt der Supervisor leise, als könne er in ihren Gedanken lesen wie in einem aufgeschlagenen Buch. »Zumindest kommt es uns so vor.«
    »Vielleicht haben wir seine Strafe verdient.«
    Er schüttelt den Kopf. »Wenn wir ehrlich bereuen, ist Gott sehr gnädig.«
    Ruth sinkt auf einen Stuhl und krampft die Hände im Schoß zusammen.
    »Unglück geschieht, Ruth. Denk doch an Hiob. Er hatte nichts Schlechtes getan, als das Unglück über ihn kam.«
    »Er hat mit Gott gehadert.«
    »Später, ja. Als er im Elend war, krank, ausgestoßen, ohne Besitz und Familie und Freunde. Doch am Ende hat er dennoch verstanden, dass Gott allmächtig ist, und dass er uns Menschen nicht zur Rechenschaft verpflichtet ist.«
    »Wir können Gottes Willen nicht immer begreifen«, sagt Ruth leise, doch anders als sonst tröstet sie das nicht.
    »Gott hat den Menschen den freien Willen gegeben. Er leidet mit seinen Geschöpfen, wenn sie das Böse wählen. Das ist die eigentliche Botschaft von Jesus Christus, wie sie im Neuen Testament steht. Und auch im Alten Testament ist Vergebung angelegt. Hiob wurde am Ende für seine Treue zu Gott reich belohnt.« Hartmut Warnholz lehnt sich vor und ergreift Ruths Hand. »Du darfst den Glauben nicht verlieren, Ruth. Nicht an Gott und nicht an deine Tochter.«
    Sie starrt den Seelsorger an, begreift plötzlich, dass der blonde Kommissar Korzilius auch mit ihm gesprochen haben muss.
    »Die Polizei sagt, Priester Röttgen war sterilisiert«, flüstert sie. »Sie fragen sogar, ob er Bea etwas getan hat.«
    »Und was sagt Beatrice dazu?«
    »Sie hat mal was angedeutet, dass Priester Röttgen sie komisch ansehe. Aber sie redet ja nicht mehr mit mir.« Ruth kämpft mit den Tränen.
    »Hast du das der Polizei gesagt?«
    »Nein, ich … ich wollte erst mit dir darüber sprechen und Bea nimmt es ja auch mit der Wahrheit manchmal nicht so genau. Und sie neigt zu völlig überzogenen Anschuldigungen, wenn sie jemanden nicht mag.«
    Hartmut Warnholz nickt. »Natürlich, ja.«
    »Es kann doch nicht stimmen, Priester Röttgen war immer so korrekt.«
    Überkorrekt, um genau zu sein. Geradezu bösartig korrekt. Niemand hatte ihn leiden können, nur Hartmut Warnholz nahm ihn immer in Schutz. Hätte sie das der Polizei sagen müssen? Haben die anderen das getan? Wahrscheinlich, ja.
    »Quäl dich nicht so, Ruth. Georg Röttgen hat deiner Tochter nichts getan.«
    »Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll.« Sie vergräbt das Gesicht in den Händen. Ich hab deinen heiligen Hartmut schon nachts bei Sankt Pantaleon gesehen. Noch so eine Lüge von Bea. Oder die Wahrheit?
    »Es war nicht immer einfach, seit Georg Röttgen hier in der Telefonseelsorge war«, sagt Hartmut Warnholz. »Ich

Weitere Kostenlose Bücher