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Farben der Schuld

Farben der Schuld

Titel: Farben der Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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toben, bleiben auf einmal bei Hiob stehen.
    Gott hatte gewettet, dass Hiobs Glauben durch nichts zu erschüttern sei, so fängt das Buch Hiob an. Es war eine Wette um Hiobs Seele, der brave Hiob selbst hatte überhaupt keine Chance. Er war nur ein Spielball zwischen den Mächten. Denn der Wettpartner Gottes war der Teufel selbst.

4. Teil
    »Ich sage zu Gott:
Sprich mich nicht schuldig!
Lass mich wissen,
warum du mir feind bist!«
    Hiob 10, 2

Sie schickt ihm ein Bild, als das Kind auf der Welt ist. Der Brief kommt zurück. Sie legt das Kind in den Wagen und schiebt es zu seinem Haus. Sie hofft. Sie betet. Das Kind ist doch unschuldig, er wird es doch lieben, wenn er es erst sieht. Aber er öffnet ihr nicht, auch nicht am nächsten Tag und nicht am übernächsten. Dann, eines Tages, steht sein Name nicht mehr auf der Klingel. Sie kann einfach nicht glauben, dass das geschieht.
    Das Kind wächst heran. Ein Kind der Sünde, das nicht hätte sein dürfen. Trotzdem wird es zu ihrer Freude und zu ihrem Halt. Ein liebes Kind mit einem Hauch Traurigkeit in den runden Augen, einer nicht altersgemäßen Ernsthaftigkeit, die es seinem Vater nur umso ähnlicher macht. Wo ist mein Papa, fragt das Kind, als es sprechen lernt. Alle Kinder haben doch einen Papa, warum nicht ich?
    Verzweiflung. Traurigkeit. Hass. Wut. Sie streicht dem Kind über den Kopf, schmiert ihm ein Honigbrot. Dein Papa ist auf einer langen Reise, sagt sie mit zusammengekrampftem Magen. Er ist ein guter Mann. Er hat uns lieb.

Montag, 27. Februar
    Nichts tut ihr weh, eine weitere Nacht, in der sie gut geschlafen hat, liegt hinter ihr. Beinahe erholt fühlt sie sich, als sie auf das Café zuläuft, in dem sie mit Karl zu einem zweiten Frühstück verabredet ist. Die Panikattacken der letzten Tage erscheinen ihr unwirklich, als hätte es sie gar nicht gegeben. Vielleicht ist es vorbei, einfach so vorüber, vielleicht ist sie doch nicht dauerhaft traumatisiert. Etwas in ihr weiß, dass das nicht der Fall ist, aber jetzt, hier, fühlt es sich beinahe so an.
    Den Morgen hat sie mit einem Besuch bei Nora Weiß begonnen. Wie Kühn es ihr auftrug, hat sie mit der aus Australien zurückgekehrten jüngsten Tochter gesprochen. Es hat nichts gebracht. Falls der Chirurg tatsächlich eine außereheliche Beziehung hatte, weiß seine Familie nichts davon, jedenfalls wirkt ihre Trauer um Vater und Ehemann echt. Auch eine Verbindung zu Beatrice Sollner oder Georg Röttgen verneinen sie überzeugend.
    Sie entdeckt Karl, winkt ihm zu und die kurze Umarmung, mit der sie sich begrüßen, bringt aus irgendeinem Grund die Erinnerung an den Reisebericht von Volker Ludes zurück, die Naivität dieser Träume, die ihr Vater einst hatte.
Love. Peace. Hope.
Das Leben ein einziges Fest. Während sie frühstücken, erzählt sie Karl davon und von dem lächelnden Buddha, der jetzt auf ihrem Küchentisch sitzt. Sie erzählt ihm sogar von ihren eigenen Träumen, damals in Frankfurt in diesem 8oer-Jahre-Sommer, der aus heutiger Sicht auf eine geradezu altmodische Weise sonnig und träge und schwerelos erscheint. Erri – »nenn mich bloß nicht Erika« – hieß das älteste Mädchen aus Judiths Klasse, mit dem sie sich angefreundet hatte. Erri mit den halb durchsichtigen Indienkleidchen und den klimpernden Halsketten, die jeden Tag laut bedauerte, zu spät für die wahre Hippie-Bewegung geboren worden zu sein. Wenn sie Glück hatten, nahmen Erris langhaariger Bruder und dessen Freunde sie in einer klapprigen Ente oder in einem R 4 mit, raus aus der Stadt, zu den Seen bei Mörfelden. Wenn nicht, stellten Judith und Erri sich an die Bundesstraße und trampten.
    »Es war verrückt.« Judith nimmt sich noch ein Croissant. »Wie eine Parallelwelt mit Autobahnanschluss. Eine Oase vor der Stadt, am Rande der Widerstandscamps gegen den Großflughafen. Die Seen sahen aus wie aus einem Urlaubsprospekt: weißer Sand, von Kiefern bestandene Ufer, türkisfarbenes Wasser. Wir schwammen nackt und tranken Bier und immer stimmte irgendwer eine Gitarre und begann zu singen. Wir waren tatsächlich sehr sicher, das alles sei eine Wirklichkeit, die eine Perspektive hätte, dabei dröhnten schon damals die landenden Passagierjets über uns weg.«
    »Die wilde Jugend der Judith K.« Karl lächelt versonnen. »Nicht in Nepal, sondern an einem Baggerloch in Südhessen.«
    »Bis wir am Ende der Schulferien mal wieder fortzogen, ja.«
    Sie sieht Karl in die Augen. Ihr Grün wirkt im Tageslicht noch intensiver, in seinen

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