Farben der Schuld
Bloch, ich bin Rechtsmedizinerin«, mit größtmöglicher Würde stöckelt Ekaterina auf das Bett am Fenster zu und hält dem Zeugen, dessen vage Andeutungen die Polizei verzweifeln lassen, ihren Ausweis hin. »Ich möchte Sie gern nochmals untersuchen.«
Blochs Bettgenossen feixen. Bloch selbst legt den Kopf schief und mustert Ekaterina aus rot geäderten Augen. Zu viel Alkohol, denkt sie automatisch. Ich möchte mal wissen, wie es um seine Leber steht. Eine junge asiatisch aussehende Pflegerin eilt auf leisen Sohlen ins Krankenzimmer und hilft Ekaterina, Bloch in ein Untersuchungszimmer zu bringen. Manchmal, nachts, mit dem Kater Tjoullda auf ihren Füßen, träumt Ekaterina von einer Frau mit sehr schwarzem, seidigem Haar, und sie meint ihr Lächeln zu spüren, auch wenn sie das Gesicht dieser Fremden niemals erkennt und nicht versteht, was ihre Anwesenheit in ihren Träumen zu bedeuten hat.
»Danke«, sagt sie zu der Pflegerin, zu laut, zu scharf, und zu Erwin Bloch: »Machen Sie bitte den Oberkörper frei.«
Er will widersprechen, überlegt es sich dann anders. Der Katheter behindert ihn, seine Hände zittern. Sie hilft ihm mit dem Schlafanzugoberteil und heißt ihn, sich zu beruhigen. Seine Brust ist faltig und weiß behaart, Messsonden kleben darauf, um sein Herz zu kontrollieren.
Was will sie hier finden, was erhofft sie sich bloß? Sie will schon wieder aufgeben, da sieht sie es. Eine minimale Verfärbung über der Halsschlagader – keine Druckstelle und auch kein Muttermal. Die Erleichterung macht Ekaterina ganz ruhig, sogar Blochs begehrliche Blicke sind ihr plötzlich egal. Sie hilft ihm wieder in seinen Pyjama und lächelt ihn an.
»Erzählen Sie mir doch noch einmal genau, was bei Sankt Pantaleon geschehen ist«, bittet sie.
***
Wo ist das Gruftigirl? Nicht dort, wo der Gärtnereichef gesagt hat, dass sie sein soll. Manni läuft schneller, biegt hinter einem bemoosten Jugendstilengel in die nächste Grabreihe ein. Es ist nasskalt hier, ungemütlich, passend zu seiner Stimmung. Der sechste Ermittlungstag nimmt seinen Lauf und sie haben noch immer nicht mehr als lose Enden. Immerhin hat der Täter nicht wieder zugeschlagen. Noch nicht? Oder wissen sie es nur nicht? Es wird weitere Morde geben, denkt Manni und spürt wieder dieses seltsame Ziehen in seinem Magen. Als ob das, was noch kommen wird, ihn ganz persönlich bedroht.
Am Morgen haben die Kriminaltechniker das Ergebnis der DNA -Analysen von den Tatorten präsentiert. Es ist ihnen gelungen, identische Spuren von der Kleidung beider Ermordeten sowie von der Jacke des Zeugen Bloch zu isolieren. Alle Opfer kamen also mit derselben Person in Berührung. Das kann kein Zufall sein. Man kann davon ausgehen, dass diese DNA vom Täter stammt. Einem männlichen Täter, so viel steht nun fest. Doch natürlich ist seine DNA-Spur polizeilich nicht registriert. Wir brauchen einen Durchsuchungsbeschluss für Röttgens ehemalige Gemeinde in Klettenberg, hat Manni gefordert. Wir müssen Speichelproben von seinen Kollegen nehmen. Doch Kühn hatte abgewinkt. Das kriegen wir nicht durch. Liefert mir erst mal einen konkreten Verdacht.
Mannis Handy fiept. Er stöhnt auf: seine Mutter. Seit mehreren Tagen ist sie schon hinter ihm her. Er nimmt das Gespräch an, damit sie endlich Ruhe gibt, lässt sie über den Niedergang einer gottlosen Welt lamentieren, in der nun selbst Priester ermordet werden, während er den Friedhof weiter nach Beatrice Sollner absucht. Weiß diese Punkgöre etwas, das ihnen weiterhilft? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht ist sie einfach nur dauerbesoffen. Was nicht verboten ist, sie ist schließlich 18, erwachsen, sie hat das Recht, ihr Leben zu ruinieren.
Er würgt seine Mutter ab, steckt das Mobiltelefon wieder in die Hosentasche, lässt seinen Blick über die Grabsteine schweifen. ›Geliebter Ehemann und Vater‹. ›Unvergessen‹. ›Ruhe in Frieden‹. Wie viele dieser Botschaften sind ehrlich? Die kleinen, dezenten Plastikspieße mit Gärtnereinamen auf etlichen Gräbern weisen zumindest darauf hin, dass sich längst nicht alle Angehörigen persönlich um die letzte Ruhestätte ihrer Lieben kümmern. Er biegt in die nächste Reihe ein. Da, endlich – das Gruftigirl! Sie kniet Kaugummi kauend im Windschatten eines immens kitschigen weißen Steinengels und wühlt im Modder. Manni stoppt, sein rechter Fuß landet mit einem schmatzenden Geräusch in einer Pfütze, eisiges Wasser quillt in den Schuh. Super, echt super,
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