Farben der Schuld
an.
»Ihr tut dauernd so, als wäre das Opfer der Täter.« Meusers Stimme ist leise vor mühsam beherrschter Wut. »Ihr klagt die Kirche an, statt zu ermitteln.«
»Die Kirche hat Dreck am Stecken, das garantiere ich dir«, sagt Manni.
»Das sind deine Vorurteile!«
»Und du, du bist objektiv? Du verrennst dich in obskure Heiligentheorien, die zu nichts führen!«
»Das tue ich nicht. Aber ich glaube …«
»Glauben, ja genau das ist es! Es passt nicht in dein Weltbild, dass ein katholischer Priester kein Heiliger ist.«
»Wir haben noch längst nicht bewiesen, dass Röttgen den Zölibat gebrochen hat! Sicher ist bislang nur seine Sterilisation.«
»Du willst es nicht sehen, Ralf.«
»Und du rennst mit einer riesen Selbstgerechtigkeit rum, und schaust auf alle herab, die nicht aus der Kirche austreten wie du. Klar, ja, ich finde auch, es gibt gute Gründe dafür. Der Papst! Der Kardinal! Das Verbot der Empfängnisverhütung. Und, und, und. Aber das ist nicht alles. Das ist nicht der Kern der christlichen Kirche!«
»Sondern?«
»Barmherzigkeit.«
»Barmherzigkeit.« Manni lacht auf.
Meuser seufzt, als habe er diese Diskussion schon viel zu oft geführt. Trotzdem sieht er Manni geradewegs in die Augen, ohne den kleinsten Anflug von Unsicherheit.
»Verzeihen können. Großzügig sein. Anderen helfen. Ohne Entgelt und ohne Verpflichtung, einfach nur deshalb, weil das christlich ist.«
Schweigen. Geschirrklappern von den Nebentischen. Das übliche Stimmengewirr.
»Vielleicht hast du recht, Ralf. Vielleicht sind wir wirklich voreingenommen«, sagt die Krieger langsam und massiert wieder ihre lädierte Hand. »Und vielleicht ist das genau das, was der Täter erreichen will.«
Meuser nickt. »Ja, genau. Das ist alles so plakativ. Es könnte doch sein, dass der Täter die Morde so inszeniert, dass sie auf die Kirche hindeuten. Er täuscht einen religiös motivierten Serienmord vor …«
»… und lenkt damit von etwas anderem ab«, sagt Judith Krieger.
»Und was soll das sein?« Mannis Handy beginnt zu fiepen. Sonja. Nicht jetzt. Er drückt sie weg.
»Der dritte Weg«, murmelt die Krieger und blickt ins Leere. »Das eigentliche Motiv.«
Ralf Meuser springt auf. »Ich fahr jetzt noch mal ins Krankenhaus und zu der Witwe von Weiß.«
»Gut, Ralf, ja«, sagt Judith Krieger und wirkt immer noch, als ob sie ganz woanders wäre.
Am Morgen ist der externe Ermittler aus Düsseldorf angekommen, der die angeblichen Vergehen der KHK Krieger im letzten großen Fall untersuchen soll, auf einmal fällt Manni das ein. Niemand im KK11 hatte damals geglaubt, dass sie richtiglag, auch er nicht. Zu nervig und stur hatte sie sich verhalten.
»Vielleicht ist das ja gar kein Serienmord. Vielleicht gibt es nicht einmal einen Zusammenhang zwischen den beiden Toten«, murmelt sie jetzt. »Vielleicht musste einer der beiden nur sterben, damit es wie ein Serienmord aussieht.«
»Du meinst, einer der beiden wurde vollkommen willkürlich getötet?«
Bevor die Krieger dazu kommt, ihm zu antworten, stöckelt Ekaterina Petrowa auf sie zu.
»Der Zeuge Erwin Bloch wurde mit einem Elektroschocker betäubt«, verkündet sie, lüpft ihre absurde Kaninchenfellmütze vom Kopf und gönnt ihnen eins ihrer raren Lächeln. »Es lässt sich zwar nicht mehr eindeutig nachweisen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass auch die Opfer auf diese Weise gelähmt wurden, ist hoch.«
***
Warmes Wasser prasselt auf ihren Körper. Ruth lehnt sich an die Wand der Duschkabine. Der Schlaf am Tag ist ein anderer als der in der Nacht. Weniger erholsam, weniger tief. Ein leichtes Opfer für böse Träume. Jetzt ist es schon Nachmittag, und sie hat kaum zwei Stunden geschlafen. Sie war nicht zur Ruhe gekommen, nachdem ihre Nachtschicht in der Telefonseelsorge endlich zu Ende war. Überwach hat sie sich hin-und hergewälzt und glaubte immer noch dieses Schweigen zu hören, den fremden Atem am anderen Ende der Leitung. Ein gesunder Mann hatte da geatmet, nicht aufgeregt, nicht flach, und obwohl nichts weiter passierte, wusste sie instinktiv, dass das eine Drohung war. Er war zu nah gewesen, zu präsent. Selbst nachdem sie es endlich geschafft hatte aufzulegen, konnte sie diesen Atem noch hören. Sogar fühlen konnte sie ihn: wie einen kalten Lufthauch auf ihrer Wange, der sie schaudern ließ.
Mach dir keine Sorgen, Ruth, diesen Schweiger hatte ich in den letzten Wochen auch schon am Apparat, hatte ihr Kollege Bernd gesagt, der sie am Morgen am Beratungstelefon
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